Leitsatz (amtlich)
1. An das Erfordernis der Gleichartigkeit, wonach es sich um einen gleichartigen Unternehmen zugänglichen Geschäftsverkehr handeln muss (§ 20 Abs. 1 GWB), dürfen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden, insbesondere ist nicht erforderlich, dass die zu vergleichenden Unternehmen untereinander in einer aktuellen oder potentiellen Wettbewerbsbeziehung stehen.
2. Unter der Behinderung eines anderen Unternehmens i.S.d. § 20 Abs. 1 GWB ist in einem rein objektiven Sinne jede Beeinträchtigung seiner Betätigungsmöglichkeiten im Wettbewerb zu verstehen, gleichgültig, ob dabei wettbewerbsfremde oder in sonstiger Weise anfechtbare Mittel angewendet werden.
3. Wenn ein Verlag für Telefon- und Branchenbücher für die durch Werbeagenturen erteilten Anzeigenaufträge ausnahmslos die in der Agenturpreisliste vermerkten Preise gelten lässt, kann eine unbillige Behinderung darin liegen, dass die Agenturpreislisten einzelnen Werbeagenturen nur mit zeitlicher Verzögerung zur Verfügung gestellt werden.
Normenkette
GWB (Behinderung) § 20 Abs. 1 Alt. 1; GWB (Ungleichbehandlung/Diskrimierung) § 20 Abs. 1 Alt. 2
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 15.07.2008; Aktenzeichen 407 O 138/07) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Hamburg vom 15.7.2008 - 407 O 138/07, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Agenturpreislisten für jedes der von ihr verlegten Telefon- und Branchenbücher auszuhändigen, nachdem sie die Beklagte hierzu für die Bücher einer jeden Auflage (nach Erscheinen der Vorauflage) aufgefordert hat und nachdem die Beklagte mit dem Vertrieb von Anzeigen zum Abdruck in dem jeweiligen von ihr verlegten Telefon- und Branchenbuch begonnen hat, und zwar entweder durch
a) Direktvertrieb
oder
b) Vertrieb durch ihre Handelsvertreter
oder
c) Vertrieb durch die Werbeagentur T.;
werden von einer Agenturpreisliste mehrere Telefon- und Branchenbücher erfasst, so ist auf den Vertriebsbeginn (im vorgenannten Sinne) für das erste Verzeichnis aus der gemeinsamen Agenturpreisliste abzustellen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung hinichtlich des Leistungsanspruchs gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 30.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Gegen dieses Urteil wird die Revision zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 30.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus Kartell- und Wettbewerbsrecht auf Belieferung mit Agenturpreislisten in Anspruch.
Die Klägerin ist eine Werbeagentur, die u.a. für ihre Kunden Anzeigen und Einträge in Telefon- und Branchenverzeichnissen platziert.
Die Beklagte verlegt mehrere örtliche Telefon- und Branchenverzeichnisse ("Das Örtliche", "Gelbe Seiten" und "Das Telefonbuch") im norddeutschen Raum. Andere, vergleichbare Verzeichnisse zu den kostenlos verteilten Produkten der Beklagten sind nicht vorhanden. Die Klägerin schaltete in den letzten Jahren für vier ihrer Kunden jeweils insgesamt acht Anzeigen in den Telefonverzeichnissen der Beklagten. Dies führte bei einem Umsatzvolumen von 11.800 EUR zu einem Erlös der Klägerin i.H.v. 1.770 EUR pro Jahr.
Die Beklagte akquiriert Werbeanzeigen für ihre Telefonverzeichnisse auf drei verschiedenen Wegen. Anzeigen werden von den Kunden direkt bei der Beklagten geschaltet, über Handelsvertreter der Beklagten vermittelt oder durch Werbeagenturen geschaltet. Die Werbeagenturen, zu denen auch die Klägerin zählt, schalten die Anzeigen ihrer Kunden bei der Beklagten im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Für die mit den Werbeagenturen vereinbarten Anzeigen werden ggü. den direkt geschalteten oder über Handelsvertreter vermittelten Anzeigen um etwa 15 % erhöhte Preise (Agenturpreise) vereinbart. Die rund 15%ige Differenz zu den Preisen direkt geschalter Anzeigen verbleibt den Werbeagenturen. Die Handelsvertreter der Beklagten erhalten die "Preislisten für direkt schaltende Kunden" ("Grundpreislisten"), die Werbeagenturen sog. Agenturpreislisten. Insgesamt verlegt die Beklagte 67 Telefonverzeichnisse. Sie verwendet insgesamt 35 Grundpreislisten und 35 Agenturpreislisten. Einige Preislisten gelten für mehrere Bücher.
Zu den Werbeagenturen mit langjährig bestehenden Lieferbeziehungen zählt neben der Klägerin die Werbeagentur T. Die Werbeagentur T. gehört zum Firmenverbund der Beklagten. Persönlich haftende Gesellschafterin der Werbeagentur T. Fa. H. GmbH (Anlage B 8), deren Geschäftsanteile von der Fa. V. GmbH & Co. KG gehalten werden. Die Geschäftsanteile der persönlich haftenden Gesellschafterin der Fa. V. GmbH & Co. KG, nämlich der Fa. H. GmbH,...