Leitsatz (amtlich)

1. Gibt der Unterlassungsantrag die tatsächlich erfolgte Äußerung aus der Pharmawerbung (hier: Werbung für eine Indikation außerhalb der arzneimittelrechtlichen Zulassung des Arzneimittels) nicht wieder, sondern statt dessen deren Eindruck in dem Sinne, wie die Äußerung in einem speziellen Kontext missverstanden werden kann, so ist die konkrete Verletzungsform nicht erfasst. Wegen des qualitativen Unterschieds zwischen beiden Werbeformen fehlt es insoweit an der Begehungsgefahr.

2. Wird in der Presseveröffentlichung über ein Arzneimittel eine von seinem Zulassungsstatus nicht gedeckte Indikation behauptet und beruht die Dritt-Veröffentlichung auf den Angaben des Pharmaherstellers, so besteht Begehungsgefahr dafür, dass der Hersteller selbst auch so (z.B. in Eigenanzeigen) wirbt.

3. Steht eine im Verbotsausspruch aufgenommene Werbeangabe in der den Verletzungsfall bildenden Veröffentlichung nicht isoliert, sondern im Fließtext, so kann sie als konkrete Verletzungsform gleichwohl isoliert angegriffen werden, wenn die Angabe "für sich steht", weil das Äußerungsumfeld anderen Sachfragen betrifft, und im Antrag nicht etwa sinnentstellend wiedergegeben wird.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 29.10.2002; Aktenzeichen 416 O 118/02)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des LG Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 29.10.2002 abgeändert und zur Klarstellung insgesamt neu gefasst.

Die einstweilige Verfügung des LG vom 31.8.2001 wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antragsgegnerin bei Vermeidung der vom LG genannten Ordnungsmittel verboten wird, in der Werbung für das Medikament P-... mit dem Wirkstoff Sirolimus zu behaupten:

1. Es handelt sich um ein Produkt, um Patienten nach einer Organtransplantation auch ohne die Verwendung eines Calcineurin-Inhibitors wirksam vor Abstoßungsreaktionen zu schützen;

2. In klinischen Studien hat sich bestätigt, dass Sirolimus in der Verhinderung von Abstoßungsreaktionen so effektiv ist wie Ciclosporin;

3. Es kann an Stelle der Calcineurin-Inhibitoren angewendet werden;

4. Es könne nach Ablauf von drei Monaten nach der Transplantation in der Erhaltungsphase zusammen mit Ciclosporin angewendet werden, und zwar durch folgende Behauptung:

"In einer großen Europäischen Zulassungsstudie erhielten die Patienten während der ersten drei Monate nach der Organtransplantation Ciclosporin, Sirolimus und Korticosteroide. Nach drei Monaten wurden die Patienten in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Patienten der Gruppe A wurden mit der Anfangsmedikation weiterbehandelt, die der Gruppe B erhielten nur P-... und Korticoide. Die Nierenfunktion besserte sich kontinuierlich und in einem klinisch bedeutsamen Umfang in den folgenden neun Monaten."

Im Übrigen wird der in der Berufungsverhandlung gestellte Verfügungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.

Die Berufung der Antragsgegnerin wird im Übrigen zurückgewiesen.

Die Kosten des Erlassverfahrens tragen die Antragstellerin 37 % und die Antragsgegnerin 63 %, von den Kosten des Widerspruchsverfahrens tragen die Antragstellerin 22 % und die Antragsgegnerin 78 %, von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Antragstellerin 9/28 und die Antragsgegnerin 19/28.

und beschlossen:

Der Wert des Streitgegenstandes wird in Ergänzung der Wertfestsetzung des LG für das Erlassverfahren auf 511.291,88 Euro (= 1.000.000 DM) und für das Widerspruchsverfahren auf 409.033,50 Euro (= 800.000 DM) festgesetzt.

Für das Berufungsverfahren wird der Wert des Streitgegenstandes auf insgesamt 280.000 Euro festgesetzt. Hiervon entfallen 245.000 Euro auf die Berufung der Antragsgegnerin (davon jeweils 70.000 Euro auf die Verfügungsanträge zu lit. a 1. bis 3. Spiegelstrich gem. der vom LG bestätigten Beschlussverfügung) und 35.000 Euro auf die Anschlussberufung der Antragstellerin.

 

Gründe

A. Die Parteien sind Wettbewerber, sie produzieren und vertreiben Arzneimittel, die dazu verwendet werden, dem Körper die Aufnahme von Implantaten fremder Organe zu ermöglichen (sog. Immunsuppressiva), und zwar die Antragstellerin das Präparat OS-... mit dem Wirkstoff Ciclosporin (Anlage ASt 1) und die Antragsgegnerin das Produkt P-... mit dem Wirkstoff Sirolimus (Anlage ASt 2).

Das Arzneimittel OS-... der Antragstellerin ist für sämtliche Organe und außerdem für Knochenmark-Transplantationen zugelassen (Anlage ASt 1), das Präparat P-... der Antragsgegnerin nur für die (eingeschränkte) Anwendung bei Nierentransplantationen (Anlage ASt 2).

In der Patienten-Zeitschrift LEBENSLINIEN, einem Informationsblatt der Vereinigung "Selbsthilfe Lebertransplantierter Deutschland e.V.", erschien in der Ausgabe Juli 2001 der Artikel "SIROLIMUS - Ein Immunsuppressivum mit einem völlig neuen Wirkungsmechanismus", in dem über das Präparat P-... berichtet wird (Anlage ASt 3). Dieser Artikel beruht - wie die Antragsgegnerin selbst eingeräumt hat - auf Unterlagen aus einer von ihr im Rahmen einer Fachpressekonferenz im März 2001 ausgelegten Informationsmappe (Anlage ASt 4).

Die Antragste...

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