Leitsatz (amtlich)
1. Die Zertifizierung eines Pigmentiergeräts im Bereich des sog. „Permanent Make Up” als Medizinprodukt i.S.v. § 3 Abs. 1 MPG setzt voraus, dass der Einsatz des Geräts entsprechend der werblichen Anpreisung des Herstellers im konkreten Anwendungsgebiet einer medizinischen – und nicht nur kosmetischen – Zweckbestimmung dient. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist die werbliche Bezugnahme auf ein vom TÜV erteiltes Zertifikat als Medizinprodukt irreführend i.S.d. § 3 UWG.
2. Ist eine nationale Rechtsvorschrift (hier: § 3 MPG) in Umsetzung einer EU-Richtlinie (hier: Art. 1 Abs. 2 lit a. RL 93/42/EWG) erlassen worden und kommt eine Vorlage an den EuGH gem. Art. 234 EG-Vertrag wegen des Natur des einstweiligen Verfügungsverfahrens als Eilverfahren nicht in Betracht, so hat das nationale Gericht die Vorschrift des Gemeinschaftsrecht unter Hinzuziehung aller verfügbaren (europarechtlichen) Auslegungshilfen in eigener Zuständigkeit auszulegen. In Ermangelung offizieller Stellungnahmen/Empfehlungen usw. sind hierbei auch rechtlich unverbindliche Meinungsäußerungen wie z.B. ein ausdrücklich als Auslegungshilfe gedachtes „Guidance document” der Kommission – zur Ermittlung des Willens des Richtliniengebers heranzuziehen.
Normenkette
MPG § 3 Abs. 1 lit. a bis c; UWG § 3; EWGRL 42/93 Art. 234 Abs. 2 und 3 EGV
Verfahrensgang
Tenor
Die Berufung der Antragsgegnerinnen gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 15, vom 20.9.2000 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens wie Gesamtschuldnerinnen.
und beschlossen:
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 51.129,18 Euro (entspricht erstinstanzlich festgesetzten 100.000 DM) festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des sog. „Permanent Make Up”. Dabei wird mittels eines speziellen Pigmentiergeräts mit einer Nadel Pigmentierfarbe unter die oberen Hautschichten gespritzt. Dort verbleibt die Farbe ca. 2 bis 4 Jahre und verblasst dann von selbst.
Die Antragsgegnerin zu 1) – die Antragsgegnerin zu 2) ist ihre Geschäftsführerin – hat für ihre Produkte bei der TÜV Product Service GmbH ein Konformitätsverfahren gem. Anhang II.3 der Richtlinie 93/42/EWG für die Medizinproduktekategorien „Pigmentiergeräte” (Klasse 2a) und „Pigmentierfarben” (Klasse 2b) absolviert und im Anschluss daran von dem TÜV als „benannter Stelle” i.S.d. EG-Richtlinie am 19. ./. 20.1.2000 ein „EG-Zertifikat” nach Maßgabe dieser Richtlinie erhalten (Anlagen B2 bis B4). Aufgrund dieser Zertifizierung ist die Antragsgegnerin zu 1) verpflichtet, ihre Produkte mit der sog. CE-Kennzeichnung in den Verkehr zu bringen. Diese Zulassung ist der Antragsgegnerin zu 1) am 1.2.2001 zunächst entzogen worden, nachdem Zweifel an der Zertifizierbarkeit der Pigmentiergeräte als Medizinprodukte aufgetreten waren (Anlagen JS12 bis JS14). Mit Schreiben vom 12.2.2001 hat der TÜV Product Service die „Kündigung” des Zertifikats sodann wieder zurückgenommen (Anlage B18).
Die Antragsgegnerin zu 1) hat die für ihre Schminkmethoden verwendeten Produkte – u.a. in der Zeitschrift „Kosmetik aktuell”, Ausgabe März 2000 (Anlage JS1) – unter Hinweis auf die erfolgte Zulassung und erteilte CE-Kennzeichnung ausdrücklich als „Medizinprodukte” beworben.
Diese Äußerungen greift die Antragstellerin unter dem Gesichtspunkt der irreführenden Werbung als wettbewerbswidrig an. Sie steht auf dem Standpunkt, Produkte für dauerhafte Schminkmethoden seien keine Medizinprodukte, sondern dienten kosmetischen Zwecken, so dass eine Zertifizierung nach der Richtlinie 93/42/EWG weder erforderlich noch zulässig sei.
Das LG Hamburg hat den Antragsgegnerinnen auf Antrag der Antragstellerin mit einstweiliger Verfügung vom 27.3.2000 unter Androhung der üblichen Ordnungsmittel verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für Pigmentiergeräte, deren Zubehör und Pigmentierfarben, welche zum Einsatz für dauerhafte Schminkmethoden (sog. Permanent Make Up) bestimmt sind, mit einer CE Kennzeichnung nach dem MPG und/oder der Richtlinie 93/42 EWG und/oder einer Zertifizierung nach MPG und/oder der Richtlinie 93/42 EWG zu werben, soweit diese Geräte, deren Zubehör und Farben nicht überwiegend zum Einsatz für medizinische Zwecke bestimmt sind, insb. mit dem Hinweis, „durch den Einsatz von Einmalnadeln, welche ebenso die Zulassung zum Medizinprodukt CE 0123 haben, wie das Feinstpigmentiergerät und die pharmazeutisch hochwertigen Pigmentierfarben” und/oder „so wurde eigens ein neues spezielles humanmedizinisches Feinstpigmentiergerät, das Conture MED 2000 und ebenso die neuen Pigmentierfarben MED 2000 entwickelt, welche den Vorschriften und Auflagen von 1998 für Medizinprodukte der IDN ISO 9001/46001 EG-Richtlinie 93/42 EWG für Medizinprodukte entsprechen und auch als solche mit der Kennzeichnung CE0123 zugelassen sind (Zulassung liegt vor)”,
und dieses Verbot auf den Widerspruch der Antragsgegnerinnen mit Urt. v. 20.9.2000 bestätigt. Hiergegen wenden sich die Ant...