Leitsatz (amtlich)
1. Die Fachkreisbewerbung eines nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittels, das in seinem Anwendungsgebiet mit Lebensmitteln (Hustenbonbons), aber auch mit homöopathischen Arzneimitteln konkurriert, mit der Angabe "klinisch belegte Wirksamkeit" wird vom Fachverkehr (PTA) nicht dahin verstanden, dass es sich dabei um eine Besonderheit handelt, die nicht auf alle konventionellen Arzneimittel zutreffen. Da für die genannten niederschwelligeren Alternativen keine Wirksamkeit im Rahmen einer klinischen Studie zu belegen ist, heben sich zugelassene Arzneimittel durch die klinisch belegte Wirksamkeit zudem von diesen ab.
2. Diejenigen Adressaten der Werbung, die nicht eine um zulassungsfreie Produkte erweiterte Vergleichsgruppe in den Blick nehmen und deshalb davon ausgehen, dass es sich bei der werblich herausgestellten "klinisch belegten Wirksamkeit" um eine Selbstverständlichkeit bei konventionellen Arzneimitteln handelt, werden nicht in die Irre geführt, weil sie in der Angabe eine inhaltsleere Anpreisung des Produkts durch den Werbenden erkennen und deshalb keiner relevanten Fehlvorstellung unterliegen.
3. Die Werbeangaben "Ohne bekannte Resistenzen" bzw. "ohne bekannte Resistenzentwicklung" für ein Arzneimittel sind nicht irreführend, wenn Resistenzen zum Zeitpunkt der Werbung tatsächlich nicht bekannt sind. Spätere Erkenntnisse über das Auftreten möglicher Resistenzen sind ebenso wenig wie die Rechtsverteidigung im Verfahren geeignet, eine Erstbegehungsgefahr für die uneingeschränkte Wiederholung der vormals rechtmäßigen Werbung zu begründen.
4. Mit verschiedenen Anträgen jeweils gesondert angegriffene, mit einer "und/oder"-Verknüpfung verbundene Werbeangaben bleiben bei der Ermittlung des Verkehrsverständnisses von der jeweils zu prüfenden Angabe unberücksichtigt.
5. Wird einer Verkehrsvorstellung, die vom Antragsteller/Kläger im Zusammenhang mit Irreführungstatbeständen vorzutragen ist (vgl. BGH, GRUR 2018, 431, 433, Rn. 16 - Tiegelgröße), erstmalig im Berufungsverfahren vorgetragen, erfolgt dies regelmäßig in dringlichkeitsschädlicher Zeit.
Normenkette
HWG § 3; UWG §§ 3, 3a, 5, 8
Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 411 HKO 58/18) |
Tenor
I. Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 29.1.2019 (Az. 411 HKO 58/18) wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Das angegriffene und das vorliegenden Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin wegen verschiedener Werbeaussagen für das Arzneimittel "O." im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens auf Unterlassung in Anspruch.
Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Markt der Halsschmerzmittel. Die Antragstellerin vertreibt u. a. unter der Marke "B." verschiedene verschreibungspflichtige Lutschtabletten gegen Halsschmerzen. Die Antragsgegnerin vertreibt unter der Marke "O." ebenfalls verschreibungsfreie Halsschmerzmittel.
Die Antragsgegnerin warb mit Werbeanzeigen in den Zeitschriften "PTA in der Apotheke" sowie "PTA heute". Wegen des Inhalts wird auf die als Anlage AST 1 zur Akte gereichten Kopien Bezug genommen. Die Antragstellerin hat elf Aussagen aus dieser Werbeanzeige wegen Verstoßes gegen das heilmittelwerberechtliche Irreführungsverbot für wettbewerbswidrig gehalten und die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 14.2.2018 erwirkt, mit welcher der Antragsgegnerin bei Meidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel neben weiteren Aussagen u. a. verboten worden ist.
"im Wettbewerb handelnd für das Produkt O. mit den Aussagen
(...)
"klinisch belegte Wirksamkeit"
und/oder
"ohne bekannte Resistenzen"
und/oder
"ohne bekannte Resistenzentwicklung"
(...)
zu werben, wenn dies geschieht wie in der mit "Anlage AST 1" bezeichneten Anlage zu diesem Beschluss dargestellt."
Wegen der weiteren Einzelheiten der Unterlassungsverfügung wird auf den Beschluss des Landgerichts vom 14.2.2018 Bezug genommen.
Auf den Widerspruch der Antragsgegnerin hat das Landgericht mit Urteil vom 29.1.2019 u. a. hinsichtlich der vorliegend in Rede stehenden Aussagen die einstweilige Verfügung vom 14.2.2018 aufgehoben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückgewiesen. Wegen sieben anderer Aussagen hat es die einstweilige Verfügung bestätigt. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere der Begründung, wird Bezug genommen auf das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 29.1.2019.
Mit ihrer Berufung richtet sich die Antragstellerin gegen die Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 14.2.2018 und Zurückweisung des insoweit gestellten Verfügungsantrags hinsichtlich der drei oben wiedergegebenen Aussagen.
Hinsichtlich der Aussage "klinisch belegte Wirksamkeit" trägt die Antragstellerin vor, dass dem angesprochenen Verkehr der Eindruck vermittelt werde, dass es sich dabei um eine Besonderheit handele, die nicht auf alle konventionellen Arzneimittel zutreffe. Dies sei unzutreffend, da alle konventionellen Arzneimittel...