Entscheidungsstichwort (Thema)
Geldentschädigung für menschenunwürdige Haftbedingungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die unfreiwillige und nicht nur ganz vorübergehende gemeinschaftliche Unterbringung von zwei Strafgefangenen in einem Haftraum mit einer Bodenfläche von 3,90 m × 2,20 m und einem Luftraum von weniger als 26,6 cbm verstößt jedenfalls dann, wenn sich in der Zelle eine nur durch einen Vorhang abgetrennte Toilette ohne gesonderte Entlüftung befindet, nicht nur gegen § 144 Abs. 1 StVollzG, sondern auch gegen die Menschenwürdegarantie.
2. Die zuständige Behörde trifft ein Organisationsverschulden, wenn eine ausreichende Haftraumreserve nicht rechtzeitig gebildet und damit eine strukturelle Überbelegung in Kauf genommen wird.
3. Bedeutung und Tragweite eines solchen Eingriffs wiegen so schwer, dass eine Entschädigung in Geld gerechtfertigt ist, auch wenn die Unterbringung nicht in schikanöser Absicht erfolgte und zu einem Zeitpunkt vorgenommen wurde, als der Beschluss des BVerfG vom 12.7.2000 (2 BvQ 25/00) zur Rechtswidrigkeit der Unterbringung von zwei Gefangenen in einem Haftraum noch nicht vorlag.
4. Eine Entschädigung von 25 EUR pro Tag ist jedenfalls nicht übersetzt.
Normenkette
BGB §§ 839, 847; GG Art. 1, 2 Abs. 1, Art. 34; StVollzG §§ 18, 144 Abs. 1, § 201 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 20.02.2004; Aktenzeichen 303 O 28/03) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 3, vom 20.2.2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung zum Ausgleich immaterieller Beeinträchtigungen durch eine vorübergehende Unterbringung in einem doppelt belegten Einzelhaftraum mit baulich nicht abgetrennter Toilette in Anspruch.
Der Kläger verbüßte eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt ... (jetzt: JVA F. Haus II). Dabei handelt es sich um eine vor dem 1.1.1977 errichtete Haftanstalt.
In der Zeit vom 4.4.2000 bis zum 20.4.2000 und vom 26.4.2000 bis zum 4.7.2000 war der Kläger zusammen mit einem weiteren Gefangenen in einem Haftraum, der grundsätzlich für eine Einzelbelegung vorgesehen ist, auf der Station B II (Zugangsstation) untergebracht. Die Fläche des Haftraums betrug 3,90 m × 2,20 m = 8,58 qm. Bei einer Höhe von 3,10 m in der Raummitte stand ein Luftraum von weniger als 26,6 cbm zur Verfügung. Die Ent- und Belüftung erfolgte über eine Fensterklappe. Der Raum war mit zwei Betten, einem Tisch, zwei Stühlen, zwei Schränken, einem Waschbecken mit Ablage sowie einem Toilettenbecken ohne gesonderte Entlüftung ausgestattet. Die sanitären Anlagen waren mit einem Schamvorhang abgetrennt.
Ein Aufschluss der Hafträume fand zu folgenden Zeiten statt: an Wochenenden und Feiertagen von 7.00 Uhr bis 18.30 Uhr, an anderen Tagen von 6.00 Uhr bis 7.00 Uhr, von 11.15 Uhr bis 12.45 Uhr, von 15.30 Uhr (an zwei Werktagen von 16.00 Uhr) bis 19.30 Uhr.
Mit Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 13.6.2000 begehrte der Kläger, die Beklagte zu verpflichten, ihn unverzüglich während der Ruhezeit allein in einem Haftraum unterzubringen. Diesem Antrag gab das LG Hamburg, Große Strafkammer 13 als Strafvollstreckungskammer, mit Beschluss vom 29.6.2000 (LG Hamburg, Beschl. v. 29.6.2000 - 613 Vollz 84/00) statt. In der Folgezeit beantragte der Kläger, die Rechtswidrigkeit der vorübergehenden Doppelbelegung festzustellen. Diesen Antrag wies das LG als unzulässig zurück. Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Klägers wurde mit Beschluss des OLG Hamburg vom 18.12.2000 als unzulässig verworfen.
Mit der vorliegenden, insb. auf §§ 839, 847 BGB, Art. 34 GG und auf Art. 5 Abs. 5 EMRK gestützten Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung (mindestens 25 EUR × 22 Tage = 550 EUR) für die mit den o.g. Haftbedingungen verbundenen Beeinträchtigungen in Anspruch.
Zur Begründung hat er vorgetragen:
Die vorübergehende Unterbringung in dem beschriebenen Haftraum zusammen mit einem weiteren Gefangenen habe namentlich den Anforderungen des § 144 StVollzG nicht genügt und ihn in seinem Anspruch auf Achtung seiner Persönlichkeit und seiner Menschenwürde verletzt.
Die Rechtswidrigkeit einer solchen Doppelbelegung stehe seit langem klar und eindeutig fest, so dass die zuständigen Bediensteten der Beklagten schuldhaft gehandelt hätten. Auf einen angeblichen Belegungsdruck könne sich die Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil es diesen seit 30 Jahren in allen Justizvollzugsanstalten gegeben habe, ohne dass Abhilfe geschaffen worden sei. Eine Zwangslage, angesichts derer der Beklagten keine andere Wahl geblieben wäre als eine Doppelbe...