Entscheidungsstichwort (Thema)

"Mehr Luft von Anfang an"

 

Leitsatz (amtlich)

Der Wortlaut bzw. das allgemeine Sprachverständnis der Aussage "Mehr Luft von Anfang an" legt unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes der COPD, bei dem es für den Eintritt der Arzneimittelwirkung auf jeden Atemzug ankommt, und angesichts vorhandener Wettbewerbspräparate, die binnen 1 bis 3 Minuten bzw. 5 Minuten wirken, auch für einen langwirksamen Bronchodilatator ein Verkehrsverständnis der Fachkreise nahe, nach dem die Wirkung des Arzneimittels unmittelbar eintritt. Eine belegte Wirkung im Laufe des ersten Tages bzw. erstmals nach 19 Minuten wird diesem Verständnis der angesprochenen Ärzte jedenfalls nicht gerecht und ist deshalb irreführend.

 

Normenkette

UWG 2015 §§ 3, 3a, 8; HWG § 3

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 14.06.2016; Aktenzeichen 312 O 84/16)

 

Tenor

1. Die gegen das Urteil des LG Hamburg vom 14.6.2016, Zivilkammer 12, Geschäfts-Nr. 312 O 84/16, gerichtete Berufung der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil sowie das angegriffene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

A. Die Parteien vertreiben Arzneimittel zur Dauerbehandlung der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und Asthma.

Patienten mit COPD leiden neben Husten vor allem an erheblicher Atemnot, weil die Lunge krankheitsbedingt kaum mehr in der Lage ist, die eingeatmete Luft wieder auszuatmen. Es stellt sich das Gefühl der Atemnot ein. Bronchodilatatoren dienen dazu, die Bronchen zu erweitern.

Zur Therapie von COPD werden unter anderem kurzwirksame inhalative Bronchodilatatoren bei Bedarf eingesetzt. Kurzwirksame Bronchodilatatoren, die auch im Notfall eingesetzt werden, sollen dem Patienten bei akuten Beschwerden sofort eine kurzfristige Linderung verschaffen.

Zusätzlich werden langwirksame Bronchodilatatoren als Dauertherapie eingesetzt.

Die Antragstellerin vertreibt den langwirksamen Bronchodilatator D. (Fachinformation, Anlage ASt 1), mit den Wirkstoffen Aclidinium (LAMA) und Formoterol (LABA). Dieser ist täglich zweimal anzuwenden.

Die Antragsgegnerin vertreibt den langwirksamen Bronchodilatator O. (Fachinformation, Anlage ASt 2). Dieser ist täglich einmal anzuwenden. Das Kombinationsarzneimittel O. besteht aus den Wirkstoffen Umeclidinium, einem Anticholinergikum (LAMA) und Vilanterol, einem Beta-2-Mimetikum (LABA).

Die LAMA/LABA-Fixkombinationen stellen einen relativ neuen Behandlungsansatz bei der COPD-Therapie dar und sind erst seit Ende des Jahres 2013 auf dem Markt.

Die Antragstellerin stieß auf eine (hier auszugsweise dargestellte) Fachkreiswerbung der Antragsgegnerin in einer Werbekarte (Anlage I) und auf der Internetseite der Antragsgegnerin (Anlage II).

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In diesen beiden Werbeunterlagen wird O. mit der Aussage "Mehr Luft von Anfang an" beworben. An die Werbeaussage schließt sich die Fußnote an, die dahingehend aufgelöst wird, dass auf die Arbeit von Maleki-Yazdi et al. verwiesen wird (Anlage ASt 4).

Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die angegriffene Aussage unter mehreren Gesichtspunkten irreführend ist.

Erstens werde durch die Aussage "von Anfang an" in Anspruch genommen, dass die Wirkung von O. unmittelbar nach der Applikation eintrete. Zweitens lasse sich die Aussage "von Anfang an" nicht aus der Arbeit von Maleki-Yazdi et al. ableiten. Drittens sei die Arbeit von Maleki-Yazdi auch untauglich, einen solchen Beleg zu liefern.

Zur ersten Irreführung trägt die Antragstellerin vor, dass die Fachkreise wüssten, dass zur Behandlung der COPD sowohl kurzwirksame als auch langwirksame Medikamente eingesetzt werden. Zusätzlich gebe es Medikamente, die kurzwirksame und langwirksame Substanzen kombinierten. Werde mit der Aussage "von Anfang an" geworben, gehe der Fachmann davon aus, dass das Arzneimittel unmittelbar von Anfang an ähnlich einem Notfallspray wirke. O. wirke allerdings nicht unmittelbar nach der Einnahme. Dies räume die Antragsgegnerin selbst ein. In der Studie von Maleki-Yazdi et al. sei der Wirkeintritt erst nach 19 Minuten nachgewiesen. Dies sei für ein Medikament, das potentiell bei akuter Atemnot eingesetzt werde, viel zu spät.

Doch selbst für ein langwirksames Medikament der Erhaltungstherapie sei der Wirkeintritt weder unmittelbar noch besonders schnell. Dies zeige exemplarisch ein Vergleich mit dem Produkt Oxis (Fachinformation, Anlage ASt 8) der Antragstellerin. Dort setze die Wirkung innerhalb von 1-3 Minuten nach Inhalation ein. Aber auch der Wirkstoff Formoterol wirke - was eine Studie von Cazzola et al. zeige - früher (Anlage ASt 9).

Zweitens liege ein Verstoß gegen die Zitatwahrheit vor. Die Arbeit von Maleki-Yazdi et al. stelle nur einen Wirkeintritt nach 19 Minuten fest. Es werde in Anspruch genommen, dass die beworbene Wirkung "von Anfang an" wissenschaftlich erwiesen sei, was nicht der Fall sei.

Drittens sei der Wirkeintritt von 19 Minuten in der Arbeit von Maleki-Yazdi et al. nicht hinreichend wissenschaftlich belegt. ...

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