Leitsatz (amtlich)

1. Wird für ein Arzneimittel mit dem Vorliegen von positiven direkten Vergleichsdaten gegenüber einem anderen Präparat geworben und nimmt die Werbung zum Beleg dieser "Vergleichsdaten" auf Fußnoten und deren Auflösung Bezug, dann liegt darin eine Tatsachenbehauptung, deren Überprüfung den Mitteln des Beweises zugänglich ist; die Verwendung des Wortes "positive" verleiht der Gesamtaussage nicht den Charakter einer Meinungsäußerung.

2. Verweist die Arzneimittelwerbung auf eine klinische Studie, die - entgegen der Verkehrserwartung - nicht dem sogenannten "Goldstandard" entspricht (hier: fehlende Doppelverblindung), dann wird der Verkehr über den Grad der Validität der Studien in die Irre geführt, wenn in der Werbung nicht zugleich auf die methodische Besonderheit der Studie (hier: nur einfache Verblindung) hingewiesen wird.

3. Greift der Anspruchsteller eine Arzneimittelwerbung als irreführend an, weil die Werbung nicht deutlich macht, dass die zum Beleg einer Werbeangabe angeführte Studie mangels einer Doppelverblindung nicht dem sogenannten Goldstandard entspricht, dann handelt der Anspruchsteller auch dann nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er sich zuvor geweigert hat, die für eine Doppelverblindung notwendige Placebo-Medikation zur Verfügung zu stellen.

 

Normenkette

HeilMWerbG § 3; UWG § 3 Nr. 1, §§ 3a, 5, 8 Abs. 1, § 12 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 29.03.2018; Aktenzeichen 416 HKO 11/18)

 

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 29. März 2018, Geschäfts-Nr. 416 HKO 11/18, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Antragsgegnerin zur Last.

Das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 29. März 2018 und das vorliegende Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

A. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin aus Heilmittelwerbe- und Wettbewerbsrecht auf Unterlassung in Anspruch.

Die Parteien sind forschende Arzneimittelunternehmen. Sie vertreiben in Deutschland u. a. Arzneimittel zur bronchodilatatorischen Dauertherapie, die zur Linderung der Symptome der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) angewendet werden. Bei der COPD handelt es sich um eine Erkrankung, die durch eine progrediente, nicht vollständig reversible, d. h. nicht heilbare Verengung der Atemwege und eine hierdurch bewirkte Verschlechterung der Lungenfunktion gekennzeichnet ist. Es besteht aber die Möglichkeit, die Symptome der COPD zu lindern, um auf diese Weise eine Verbesserung der Lebensqualität der Patienten zu erreichen.

Die Antragstellerin vertreibt das Arzneimittel S.* R.* (nachfolgend: S.*; Wirkstoffe: T. und O.), das mittels eines Inhalators ("R.") eingenommen wird, und zwar einmal täglich zwei Hübe (Anlage AS 1). Die Antragsgegnerin bietet das Medikament A.* (Wirkstoffe U. und V.) an, welches ebenfalls mittels eines Inhalators ("E.") angewendet wird, und zwar einmal täglich ein Hub (Anlage AS 2). Die Arzneimittel der Parteien können jeweils nur mit dem für sie vorgesehenen Inhalator verabreicht werden und unterscheiden sich hinsichtlich Größe, Form und Handhabung deutlich voneinander. Bei den Arzneimitteln der Parteien handelt es sich um eine Kombination aus langwirksamen Muskarin-Antagonisten (LAMA; T. bzw. U.) und einem langwirksamen Beta-2-Agonisten (LABA; O. bzw. V.). Beide Arzneimittel beruhen mithin auf Wirkstoffen, die in Fachkreisen als "LAMA/LABA-Fixkombination" bezeichnet werden.

Im November 2017 bewarb die Antragsgegnerin ihr Präparat A.* in verschiedenen Printmedien, und zwar in der Zeitschrift Medical Tribune, 52. Jahrgang, Nr. 44 vom 3. November 2017 (Anlage AS 4 = Anlage A), in der Ärzte Zeitung vom 6. November 2017 (Anlage AS 5 = Anlage B) sowie mittels einer Faltkarte (Anlage AS 6 = Anlage C). Diese Werbung erfolgte unter Bezugnahme auf eine Studie von F. et al. (Anlage AS 9), und zwar mit Überlegenheitsaussagen gegenüber dem Arzneimittel der Antragstellerin, S.*.

Die Studie von F. et al. hat die Wirksamkeit der Arzneimittel der Antragstellerin (S.*) und der Antragsgegnerin (A.*) miteinander verglichen. Primärer Endpunkt, d. h. das primäre Ziel der Studie, war dabei die Messung der Veränderung der Lungenfunktion nach Einnahme der jeweiligen Medikamente. Gemessen wurde die Veränderung der Lungenfunktion im Wege der Lungenfunktionsprüfung (Spirometrie), mit welcher das forcierte Ausatmungsvolumen in einer Sekunde, die sog. Einsekundenkapazität (= FEV1 -Talwert) erhoben wurde. Dabei atmet der Patient aus maximaler Inspirationslage so schnell wie möglich aus. Das in einer Sekunde ausgeatmete Volumen stellt die Einsekundenkapazität dar. Bei der Studie von F. et al. handelt es sich um eine randomisierte Cross-Over-Studie. Die Studie wurde hinsichtlich der Probanden unverblindet durchgeführt ("open label"), d. h. die teilnehmenden Patienten konnten erkennen, welches Arzneimittel sie jeweils eingenommen haben. Den Studienassistenten, welche die Lungenfunktionstests durchgefüh...

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