Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 4 Abs. 18 S. 2 AMG und der Intention des Gesetzgebers ist auch der Parallel-vertreiber von Arzneimitteln als pharmazeutischer Unternehmer i.S.v. § 4 Abs. 18 AMG anzusehen und stellt der Parallelvertrieb bereits ein Inverkehrbringen des Mittels unter seinem Namen dar.
2. Der Parallelvertreiber ist gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 AMG i.V. mit den Leitlinien der Europäisches Arzneimittelagentur (European Medicines Agency/EMA) für Parallelvertreiber, welche auf Artt. 65 lit. f), 57 RL 2001/83/EG beruhen, verpflichtet, von ihm in den Verkehr gebrachte Arzneimittelverpackungen mit der Angabe "Parallelvertreiber" bzw. "parallel vertrieben von" gefolgt von der entsprechenden Namensangabe zu kennzeichnen.
3. § 10 Abs. 1 Nr. 1 AMG ist eine Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG.
4. Ein Parallelvertreiber von Arzneimitteln, der ein zentral zugelassenes und vom Zulassungsinhaber in einem sog. "Multi-Country-Pack" mit einer deutschsprachigen Verpackung in Österreich in den Verkehr gebrachtes Arzneimittel nach Deutschland importiert und die Arzneimittelpackungen in Deutschland unverändert nicht unter einer eigenen Pharmazentralnummer (PZN), sondern der des Zulassungsinhabers, und ohne eine Anzeige gegenüber der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) oder gegenüber dem Zulassungsinhaber in Verkehr bringt, ist dem Zulassungsinhaber, der für die so vertriebenen Arzneimittel gemäß § 130a SGB V anfallende Herstellerrabatte bezahlen muss, gemäß §§ 3, 3a, 9 UWG zum Schadensersatz verpflichtet.
Normenkette
AMG § 4 Abs. 18 S. 2, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 1; BGB § 242; RL 2001/83/EG Art. 57, 65 lit. f); SGB V § 130a Abs. 1, § 131 Abs. 5; UWG §§ 3, 3a, 8 Abs. 1, 3 Nr. 1, § 9
Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 327 O 389/18) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 27, vom 9. Mai 2019, Az. 327 O 389/18, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es im Unterlassungstenor zu I. 1) statt "Parallelimporteur" nunmehr "Parallelvertreiber" heißt.
Die Kosten der Berufung fallen der Beklagten zur Last.
Das vorliegende Urteil und das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 9. Mai 2019 sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg hinsichtlich der Verurteilung zu Ziff. I. durch Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 135.000.00 und hinsichtlich der Verurteilung zu Ziff. II. durch Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 15.000,00 abwenden, wenn nicht die Klägerin zu 1) vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.
Wegen der Kosten dürfen die Parteien die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie aus dem landgerichtlichen sowie dem vorliegenden Urteil jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
und beschließt:
Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz in Abänderung des Beschlusses vom 30. Juli 2020 auf insgesamt EUR 250.000,00 festgesetzt. Davon entfallen EUR 135.000,00 auf den Unterlassungsantrag zu Ziff. I., EUR 15.000,00 auf den Auskunftsantrag zu Ziff. II. und je EUR 50.000,00 auf die Schadensersatzfeststellungsanträge zu Ziff. IV. und V..
Gründe
A. Die Klägerinnen zu 1) und 2) haben die Beklagte aus Wettbewerbs- und Markenrecht auf Unterlassung, Auskunft, Schadensersatzfeststellung sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen.
Die Klägerin zu 1) ist Inhaberin der zentralen europäischen Zulassung für das Arzneimittel Kv.* und für das Inverkehrbringen von Kv.* in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verantwortlich (Anlage K 3). Die Klägerin zu 2) ist Inhaberin der Produktrechte an dem Arzneimittel Kv.*, einschließlich der Rechte an der Unionswortmarke "KV.", Nr. 005049581, welche mit Priorität vom 2. Mai 2006 für die Waren "pharmazeutische Präparate, nämlich Arzneimittel einschließlich Tetrahydrobiopterin (BH4) und damit verbundene Präparate für die Behandlung Phenylketonurie" registriert worden ist (Anlage K 1).
Das Humanarzneimittel Kv.* ist zugelassen zur Behandlung von Patienten mit Phenylketonurie (PKU), welche unter Hyperphenylalaninämie (HPA) leiden (Anlagen K 2 und K 3). Bei HPA handelt es sich um eine seltene Krankheit, unter der in der Europäischen Union ca. 1,7 von 10.000 Menschen, in Deutschland insgesamt ca. 7.500 Menschen leiden.
Die Klägerinnen vertreiben das Arzneimittel Kv.* in einem sog. "Multi-Country-Pack", einer deutschsprachigen Verpackung, die den Kennzeichnungsanforderungen sowohl in Deutschland als auch in Österreich entspricht und daher in diesen Staaten unverändert auf den Markt gebracht werden kann. Auf der Rückseite der Verpackung befindet sich die sog. Blue Box, in der die nach den nationalen Anforderungen erforderlichen Angaben zu einem zentral zugelassenen Arzneimittel ergänzend anzubringen sind. Für den Vertrieb in Ös...