Leitsatz (amtlich)
1. Angesichts der Formulierung "voraussichtlich 01.04.2020" fehlt es an der für die Annahme einer verbindlichen Vertragsfrist i.S.v. § 5 Abs. 1 VOB/B erforderlichen Eindeutigkeit.
2. Die Frist für den Beginn mit der Ausführung nach § 5 Abs. 2 VOB/B kann im Allgemeinen sehr knapp bemessen sein, sofern nur der Beginn der Arbeiten auf der Baustelle in Rede steht.
3. § 5 VOB/B enthält keine Begriffsbestimmung dafür, was unter dem Beginn der Ausführung zu verstehen ist. Dies muss daher im Einzelfall den vertraglichen Vereinbarungen unter Berücksichtigung der Umstände bei Vertragsschluss entnommen werden. Zu berücksichtigen ist also, was der Bauvertrag an konkreten Festlegungen dazu enthält, welche konkreten Tätigkeiten der Auftragnehmer zu entfalten hat. Ist der Auftragnehmer zur Erbringung von Bauleistungen verpflichtet, kommt es für den Beginn der Ausführung grundsätzlich auf die tatsächliche Arbeitsaufnahme auf der Baustelle an. Haben die Parteien vertraglich ausdrücklich eine durchgängige Besetzung der Baustelle mit mindestens vier Arbeitskräften vereinbart, genügt es für einen Arbeitsbeginn nicht, wenn die Klägerin lediglich eine einzige Arbeitskraft auf die Baustelle schickt, da insoweit allenfalls pro forma mit den Arbeiten begonnen wurde und nicht entsprechend den konkreten Vereinbarungen der Parteien.
Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 335 O 109/20) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19.08.2021, Az. 335 O 109/20, wird zurückgewiesen.
2. Auf die Widerklage der Beklagten hin wird die Klägerin verurteilt, an die Klägerin 60.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.01.2022 zu zahlen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 60.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Klägerin als Auftragnehmerin, eine im Rahmen eines Bauvertrages erhaltene Zahlung an die Beklagte zurückzuzahlen.
Die Klägerin ist ein Fachunternehmen auf dem Gebiet des Verkaufs sowie der Verlegung von hochwertigen Bodenbelägen aus Naturstein bzw. Fliesen. Die Beklagte ist ein Bauunternehmen, welches im Jahr 2020 u.a. mit der Erstellung des Bauvorhabens "P" in Hamburg befasst war. Am 15.01.2020 erteilte die Beklagte der Klägerin als Nachunternehmerin den Auftrag für einen Bauwerkvertrag betreffend die Fliesenarbeiten im Baufeld 7 des o.a. Bauvorhabens "P" (vgl. Anlage K 1=Anlage B 1). Vorgesehen war ein Pauschalfestpreis i.H.v. 175.000,00 EUR, wovon 60.000,00 EUR von der Beklagten als Vorauszahlung für das zu verbauende Material geleistet werden sollten. Die Klägerin bestätigte am 12.02.2020 den Vertragsschluss mit der Beklagten. Die Parteien des Bauvertrages vereinbarten die Geltung der VOB/B. Die Beklagte leistete die o.a. Vorauszahlung i.H.v. 60.000,00 EUR an die Klägerin.
Mit E-Mail vom 09.04.2020 (Anlage B 4) rief die Beklagte die vertraglichen Leistungen der Klägerin ab, und zwar mit einem Ausführungsbeginn am Montag, den 20.04.2020. Mit E-Mail vom 20.04.2020 (Anlage K 5) zeigte der für das Projekt zuständige Bauleiter der Klägerin, T. K., dem Bauleiter der Beklagten (P. G.) an, dass ein Arbeitsbeginn nicht möglich sei. Die Beklagte forderte die Klägerin per Mail vom 20.04.2020 (Anlage K 6=Anlage B 5) zur Leistungserbringung auf. Am 21.04.2020 antwortete die Klägerin, dass die Abdichtung nicht zu ihrem Auftrag gehöre (vgl. Anlage K 7) und legte ein Nachtragsangebot (Anlage B 11) vor, dessen Beauftragung sie am 23.04.2020 monierte (vgl. Anlage K 7). Am 27.04.2020 setzte die Beklagte der Klägerin Nachfristen für den Arbeitsbeginn bis zum 29.04.2020 (vgl. Anlage K 9=Anlage B 6). Am 28.04.2020 kam es zu einem Telefonat der Herren K (von der Klägerin) und G (Beklagte). Am selben Tag sandte Herr K von der Klägerin um 28.04.2020, 16.00 Uhr, eine Mail an die Beklagte (Anlage K 10). Per Mail vom gleichen Tag (Anlage K 11) erteilte die Beklagte der Klägerin einen Nachtragsauftrag betreffend Zulagen zu den Bodenfliesen. Per Mail vom 29.04.2020 (Anlage K 12) bestätigte Herr K von der Klägerin den Arbeitsbeginn zum 04.05.2020. Am 04.05.2020 erschien niemand für die Klägerin auf der Baustelle. Herr G von der Beklagten setzte der Klägerin per Mail vom 04.05.2020, 17.11 Uhr, (Anlage K 12) eine Nachfrist. Nachdem am 05.05.2020 wiederum niemand von der Klägerin auf der Baustelle erschienen war, setzte Herr G von der Beklagten mit E-Mail-Schreiben vom 05.05.2020 (Anlage B 7) eine letzte Nachfrist bis zum 06.05.2020, 13.00 Uhr, und drohte die Kündigung des Bauvertrages an. Am 06.05.2020 erschie...