Leitsatz (amtlich)

1. Ein Zeitraum von knapp sechs Wochen zwischen der vorgetragenen Kenntnisnahme von der Verletzungshandlung und dem eingereichten Verfügungsantrag ist - wenn der Verletzer in dieser Zeit abgemahnt worden ist - nicht zu lang, um von einem Entfall der Dringlichkeitsvermutung ausgehen zu können.

2. Die werbliche Angabe, ein Mittel zur Behandlung der nAMD habe in zwei direkten Vergleichsstudien ein Wettbewerbspräparat mit überlegener Flüssigkeitsreduktion übertroffen, versteht der Fachverkehr jedenfalls angesichts einer grafisch herausgehobenen Darstellung der Worte "überlegener Flüssigkeitsreduktion" - hier: Fettdruck - nicht nur als Hinweis auf Unterschiede bei den pharmakokinetische Eigenschaften der angesprochenen Mittel, sondern dahin, dass die dargestellte Flüssigkeitsreduktion im Vergleich zum Konkurrenzprodukt mit einem relevanten therapeutischen Vorteil für die behandelten Patientinnen und Patienten verbunden ist. Eine solche Darstellung ist irreführend, wenn die behauptete Überlegenheit nur für einen von zwei maßgeblichen Parametern belegt ist.

3. Der Fachverkehr erwartet mangels entgegenstehender Hinweise von einer Heilmittelwerbung, die sich auf das Ergebnis von Vergleichsstudien bezieht und einen dabei erzielten Vorteil eines Arzneimittel gegenüber einem Wettbewerbspräparat bewirbt, dass die miteinander verglichenen Präparate unter vergleichbaren Bedingungen untersucht worden sind. Eine solche Werbung ist irreführend, wenn die Untersuchungsbedingungen tatsächlich nicht vergleichbar sind.

 

Normenkette

HWG § 3; UWG §§ 3, 3a, 8

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Aktenzeichen 416 HKO 95/20)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20.11.2020, Az. 416 HKO 95/20, abgeändert:

Im Wege der einstweiligen Verfügung wird der Antragsgegnerin unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), weiter verboten,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen für das Arzneimittel U.* (Wirkstoff: C.) die folgenden Angaben zu verwenden:

1. "In zwei direkten klinischen Vergleichsstudien vs. F.: übertraf U.* F. mit überlegener Flüssigkeitsreduktion" und/oder

2. "In zwei direkten klinischen Vergleichsstudien vs. F.: konnte die Mehrheit der U.*-Patienten direkt nach der Upload-Phase auf einem 12-Wochenintervall gehalten werden"

wie nachfolgend zu Ziffern 1. bis 2. geschehen: - 3 Abbildungen -

II. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Antragstellerin 1/3 und die Antragsgegnerin zu 2/3.

III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz fallen in Abänderung der Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20.11.2020 (dort Ziff. 2.) der Antragstellerin zu 1/4 und der Antragsgegnerin zu 3/4 zur Last.

IV. Das Urteil ist vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 300.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien vertreiben Arzneimittel u.a. zur Behandlung der sog. feuchten bzw. neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration (nAMD).

Sowohl das von der Antragstellerin vertriebene Arzneimittel Y.* mit dem Wirkstoff F. als auch das von der Antragsgegnerin vertriebene Arzneimittel U.* mit dem Wirkstoff C. werden intravitreal verabreicht, d.h. mittels einer Fertigspritze in den Glaskörper des Auges injiziert.

U.* ist im Februar 2020 zugelassen worden. In den Zulassungsstudien WK. und WR. wurde C. im direkten Vergleich zu F. untersucht. Nach zu Behandlungsbeginn zunächst monatlich vorzunehmenden Injektionen (sog. Upload-Phase) wurde C. alle zwölf Wochen verabreicht. Traten bei Patientinnen und Patienten Krankheitsaktivitäten auf, wurde dieses Intervall auf acht Wochen verkürzt. F. wurde - der damaligen Zulassung entsprechend - alle acht Wochen verabreicht.

Die beiden Zulassungsstudien waren für U.* als Nichtunterlegenheitsstudien gegenüber dem Wirkstoff F. ausgelegt (primärer Endpunkt), als sekundäre Endpunkte waren sie zudem jedenfalls auch darauf ausgerichtet, das Maß der durch die miteinander verglichenen Arzneimittel erzielbaren Flüssigkeitsreduktion zu ermitteln. Die nAMD führt bei den Betroffenen u.a. zu einer Ansammlung unter der Netzhaut vorkommender (subretinaler) Flüssigkeit (SRF) und innerhalb der Sinnes- und Nervenzellen vorkommender (intraretinaler) Flüssigkeit (IRF). Beide Flüssigkeiten treten aus durch die Krankheit neu gebildeten Blutgefäßen aus. In der Fachinformation für U.* (Anlage ASt 3) sind die Ergebnisse der WK.- und WR.-Studien zur Flüssigkeitsreduktion von SRF und IRF unter Ziff. 5.1 "Pharmakodynamische Eigenschaften" wie folgt dargestellt:

"In Woche 16 war der prozentuale Unterschied von Patienten mit IRF- und/oder SRF-Flüssigkeit bei U. im Vergleich zu F. in beiden Studien statistisch signifikant (WK.: 34 % vs. 52 %; WR.: 29 % vs. 45 %). Dieser Un...

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