Leitsatz (amtlich)

1. Zwar begründet der Inhalt der Fachinformation die Vermutung, dass diese den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Zeitpunkt des jeweiligen Standes der Fachinformation zutreffend wiedergibt. Daraus lässt sich indes nicht ableiten, dass der Fachverkehr jede einzelne der in die Fachinformation aufgenommenen Formulierungen gerade so versteht, wie es dem Verständnis der Zulassungsbehörde von dem Ergebnis der mitgeteilten Daten entspricht.

2. Ist die Pressemitteilung eines Arzneimittelherstellers nicht auf hochspezialisierte Fachkreise (hier: Ophtalmologen) beschränkt, kann für die Feststellung der Verkehrsvorstellung von einer in der Pressemitteilung enthaltenen Werbeangabe davon ausgegangen werden, dass zu den angesprochenen Fachkreisen der Pressemitteilung - anders etwa als bei Aussagen auf einem Fachkongress - auch Fachkreise zählen, die mit den Besonderheiten einer beworbenen Therapie (hier: zur Behandlung der neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration (nAMD) - weniger vertraut sind.

 

Normenkette

HWG § 3; UWG §§ 3, 3a, 8

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Aktenzeichen 416 HKO 98/20)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19.11.2020, Geschäfts-Nr. 416 HKO 98/20, abgeändert.

Im Wege der einstweiligen Verfügung wird den Antragsgegnerinnen unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), weiter

verboten,

im Rahmen geschäftlicher Handlungen für das Arzneimittel "U." (Wirkstoff: C.) die folgenden Angaben zu verwenden:

1. "U.* is the first EC-approved anti-VEGF treatment to demonstrate superior resolution of retinal fluid (IRF/SRF), a key marker of disease activity, versus F. (secondary end points)"

und/oder

2. "We believe that U.* and its ability to resolve fluid, brings great therapeutic value that will help physicians to optimize treatments for patients based on disease activity."

und/oder

3. "U.*, with its superior fluid resolution as demonstrated in the WK. and WR., trials will provide physicians with a new option to treat wet AMD."

und/oder

4. "In both trials, 30% fewer patients had signs of disease activity with U.* versus F. as early as week 16",

wie zu Ziffern 1. bis 4. geschehen in der als Anlage AST 1 beigefügten Pressemitteilung "Media Release".

II. Die Antragsgegnerinnen haben die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen wie Gesamtschuldnerinnen zu tragen.

III. Das Urteil ist vollstreckbar.

 

Gründe

A. Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerinnen im Rahmen einstweiligen Rechtsschutzes wegen verschiedener Werbeaussagen für das Arzneimittel "U." auf Unterlassung in Anspruch.

Die Parteien vertreiben u. a. Arzneimittel zur Behandlung der sog. feuchten bzw. neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration (nAMD). In diesem Indikationsbereich ist die Antragstellerin Inhaberin der Zulassung für das Mittel "Y." (Wirkstoff: F.). Die Antragsgegnerin zu 2) vertreibt in Deutschland u. a. das Arzneimittel "U." (Wirkstoff: C.). Die Antragsgegnerin zu 1) ist die Konzerngesellschaft der Antragsgegnerin zu 2) und für diese für den Bereich "Globale Kommunikation" zuständig. Die Präparate "Y." und "U." werden beide intravitreal verabreicht, d. h. mittels einer Fertigspritze in den Glaskörper des Auges injiziert.

"U." ist im Februar 2020 zugelassen worden. In den Zulassungsstudien WK. und WR. (Anlage AST 8) wurde C. im direkten Vergleich zu F. untersucht. Beide Zulassungsstudien waren im Hinblick auf die Wirksamkeit als Nichtunterlegenheitsstudien angelegt (primärer Endpunkt). Im Rahmen des sekundären Endpunkts ermittelten die Studien u. a. das Maß der durch die miteinander verglichenen Arzneimittel erzielbaren Flüssigkeitsreduktion. Die nAMD führt bei den Betroffenen u. a. zu einer Ansammlung unter der Netzhaut vorkommender (subretinaler) Flüssigkeit (SRF) und innerhalb der Sinnes- und Nervenzellen vorkommender (intraretinaler) Flüssigkeit (IRF). Beide Flüssigkeiten treten aus durch die Krankheit neu gebildeten Blutgefäßen aus. In der Fachinformation für "U." (Anlage AST 5) sind die Ergebnisse der WK.- und WR.-Studien zur Flüssigkeitsreduktion von SRF und IRF unter Ziff. 5.1 "Pharmakodynamische Eigenschaften" wie folgt dargestellt:

"In Woche 16 war der prozentuale Unterschied von Patienten mit IRF- und/oder SRF-Flüssigkeit bei U. im Vergleich zu F. in beiden Studien statistisch signifikant (WK.: 34 % vs. 52 %; WR.: 29 % vs. 45 %). Dieser Unterschied war auch in Woche 48 statistisch signifikant (WK.: 31 % vs. 45 %; WR.: 26 % vs. 44 %) und blieb bis zum Ende jeder Studie in Woche 96 bestehen (WK.: 24 % vs. 37 %; WR.: 24 % vs. 39 %)."

Der infolge der Behandlung mit den Prüfpräparaten eingetretene statistisch signifikante Unterschied zwischen den Wirkstoffen der Präparate "U." und "Y." im...

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