Leitsatz (amtlich)

1. Ein unmittelbarer Vergleich liegt vor, wenn die angesprochenen Fachkreise zwar erkennen, dass die Ergebnisse zweier verschiedener Studien dargestellt werden, aber aufgrund der besonderen grafischen Darstellung der Studienergebnisse zu dem falschen Schluss gelangen, dass hier ausnahmsweise auch die Ergebnisse zweier verschiedener Studien unmittelbar miteinander vergleichbar seien.

2. Das kann auch der Fall sein, wenn die Darstellung zwar nicht innerhalb eines einzigen Diagramms erfolgt, aber durch unmittelbar nebeneinander angeordnete Diagramme mit identischer Skalierung der Vertikalachse und unter Verwendung identischer Farben für die Wiedergabe der Ergebnisse eines Wirkstoffs.

3. Um entsprechende vergleichende Werbeaussagen in wissenschaftlich abgesicherter Weise treffen zu können, bedarf es einer Head-to-Head-Untersuchung.

4. Sind mehrere Einzelangaben innerhalb eines Werbemittels Gegenstand jeweils gesonderter, auf das Werbemittel bezogener Anträge, so ist jeweils ein Verbot gemeint, das die einzelne Werbeangabe nicht für sich allein betrachtet, sondern im konkreten werblichen Umfeld erfasst, so wie sie sich aus der in Bezug genommenen Verbotsanlage ergibt, und zwar losgelöst von den anderen, ebenfalls angegriffenen Angaben.

5. Hieraus folgt, dass eine gesonderte Angabe nicht wegen des irreführenden Gehalts einer anderen gesondert angegriffenen Angabe verboten werden kann.

6. Es spricht jedoch nichts dagegen, ein werbliches Umfeld, das nicht Gegenstand eines gesonderten Angriffs ist, verbotsbegründend gleichermaßen für mehrere der gesonderten Angriffe heranzuziehen.

7. Hinsichtlich des Vorliegens eines Verfügungsgrundes bewegen sich die zeitlichen Anforderungen an ein hinreichend zügiges Vorgehen des Anspruchstellers in einem Bereich von ca. 6 bis 8 Wochen zwischen der Kenntnis vom Rechtsverstoß und der Stellung des Verfügungsantrags, wobei es im Bereich der Heilmittelwerbung sachgerecht ist, im Interesse der ordentlichen Vorbereitung des Verfügungsverfahrens tendenziell einen großzügigeren Maßstab anzulegen.

 

Normenkette

HeilMWerbG § 3; UWG §§ 3, 3a, 8

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Urteil vom 23.05.2022; Aktenzeichen 416 HKO 35/22)

 

Tenor

1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23.05.2022, Az. 416 HKO 35/22, wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 150.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Äußerungen der Antragsgegnerin für das Arzneimittel X.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Die Parteien sind konkurrierende Pharmaunternehmen im Bereich von sogenannten GLP-1 Rezeptor-Agonisten. Dies sind Arzneimittel, die bei der Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 zur Senkung des Blutzuckers eingesetzt werden. Der rote Blutfarbstoff, Hämoglobin ("Hb") besteht beim Menschen aus vier Untergruppen: HbA0, HbA1, HbA2 und HbF. Auch der Hämoglobin-Typ HbA1 besteht aus mehreren Untergruppen. Eine davon heißt HbA1c, ein Wert der heute bevorzugt bei der Kontrolle des Blutzuckers gemessen wird.

Die Antragstellerin vertreibt in Deutschland den GLP-1 Rezeptor-Agonisten Y. mit dem Wirkstoff Dulaglutid (Fachinformation in Anlage AST 1). Das Präparat ist in einem sofort gebrauchsfertigen Fertigpen in den Darreichungsformen 0,75 mg, 1,5 mg, 3 mg und 4,5 mg Injektionslösung erhältlich und wird jeweils einmal wöchentlich angewendet.

Die Antragsgegnerin vertreibt in Deutschland den GLP-1 Rezeptor-Agonisten X. mit dem Wirkstoff Semaglutid (Fachinformation in Anlage AST 2). Das Präparat ist als Injektionslösung in einem Fertigpen in den Darreichungsformen 0,25 mg, 0,5 mg und 1 mg erhältlich und wird ebenfalls einmal wöchentlich angewendet.

In der Studie SUSTAIN 7 (Anlage AG 5) wurden Semaglutid 0,5 mg und 0,75 mg und Dulaglutid 0,75 mg und 1,5 mg verglichen. Der primäre Endpunkt war die Änderung des HbA1c-Wert und sekundärer Endpunkt die Änderung des Gewichts der Probanden, beides jeweils nach 40 Wochen.

In der Studie AWARD-11 wurden Dulaglutid 1,5 mg, 3,0 mg und 4,5 mg hinsichtlich einer Änderung des HbA1c-Werts und des Gewichts der Probanden nach 36 und 52 Wochen verglichen.

In der Vergleichsstudie Pratley et al. (Anlage AST 7 = AG 6) wurde anhand der sog. Methode nach Bucher ein "indirect treatment comparison" zwischen Semaglutid 1,0 mg und Dulaglutid 3,0 mg einerseits und Semaglutid 1,0 mg und Dulaglutid 4,5 mg andererseits vorgenommen. Grundlage des Vergleichs waren die Vergleiche von

  • Semaglutid 1,0 mg vs. Dulaglutid 1,5 mg in SUSTAIN 7,
  • Dulaglutid 3,0 mg vs. Dulaglutid 1,5 mg in AWARD-11 und
  • Dulaglutid 4,5 mg vs. Dulaglutid 1,5 mg in AWARD-11.

Die Antragsgegnerin warb in einer Werbeunterlage wie aus Anlage AST 3 (= Anlage 1 zum Tenor) ersichtlich mit einer "Darstellung der Studienergebnisse: SUSTAIN 7 und AWARD-11".

Ferner warb sie mit einem ...

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