Leitsatz (amtlich)
1. Der Unterlassungsklage eines Verbraucherverbands, mit der einem Rechtsanwalt im Zusammenhang mit dem Inkasso vertraglicher Zahlungsforderungen gegenüber Verbrauchern in abstrakt-genereller Weise die Behauptung eines Vertragsschlusses (hier: Mietvertrag) des jeweils angeschriebenen Verbrauchers mit dem Mandanten des Rechtsanwalts verboten werden soll, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Die Behauptung des Vertragsschlusses ist dem Rechtsanwalt in solchen Fällen gemäß § 43d Abs. 1 Nr. 2 BRAO vorgeschrieben. Ein entsprechender Unterlassungstitel würde daher in unzulässiger Weise in einen Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit und damit in das Grundrecht gemäß Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen, denn der Rechtsanwalt könnte kein Inkasso vertraglicher Forderungen gegenüber Verbrauchern mehr betreiben, ohne fürchten zu müssen, gegen den Unterlassungstitel zu verstoßen. Das ist unzumutbar und mit der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar. Ob der Senat an seiner Rechtsprechung festhält, in einem ähnlichen, gegen ein Inkassounternehmen gerichteten Unterlassungsverfahren ein Rechtsschutzbedürfnis anzunehmen (Senat, GRUR-RR 2021, 369 - Mobilfunk-Inkasso; s. dazu auch BGH, GRUR 2022, 170 - Identitätsdiebstahl II), kann hier offenbleiben.
2. Das an einen Verbraucher gerichtete Inkassoschreiben eines Rechtsanwalts ist eine Handlung des Rechtsanwalts im Rahmen seiner Mandatsbeziehung und daher keine geschäftliche Handlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2, 1. Hs. UWG. Demnach liegen insofern die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 UWG nicht vor (Abgrenzung zu Senat, GRUR-RR 2021, 369 Rn. 34 - Mobilfunk-Inkasso sowie BGH, GRUR 2022, 170 Rn. 12 - Identitätsdiebstahl II).
Verfahrensgang
LG Hamburg (Aktenzeichen 406 HKO 120/22) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 10.10.2023, Az. 406 HKO 120/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die angefochtene Entscheidung ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 40.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit einem von der Beklagten im Auftrag ihrer Mandantin, der G. G. GmbH, an einen Verbraucher, den Zeugen H., verschickten Inkassoschreiben. In der Berufung stehen nur noch die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche im Streit; die Abweisung der Widerklage ist rechtskräftig geworden. Bei dem ersten der beiden Klaganträge geht es um den Vorwurf der Irreführung über das Bestehen eines Mietvertrags über ein Mobiltelefon zwischen dem Zeugen H. und der G. G. GmbH. Der zweite Antrag betrifft falsche, widersprüchliche oder unklare Angaben sowohl zur Person des Gläubigers als auch zur Forderungshöhe.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der Verbraucherinteressen wahrnimmt, und als qualifizierte Einrichtung in die vom Bundesamt für Justiz geführte Liste gemäß § 4 UKlaG eingetragen (s. Anlage K1). Die Beklagte ist eine Rechtsanwaltskanzlei, die u.a. in großem Umfang Inkassodienstleistungen für Unternehmen anbietet. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands und der vor dem Landgericht gestellten Anträge wird auf das angegriffene Urteil verwiesen. Ergänzend wird Folgendes festgestellt:
In dem als Anlage K5 zur Akte gereichten Inkassoschreiben der Beklagten an den Zeugen H. vom 18.02.2022 heißt es u.a.:
"Forderung der Firma G.G. GmbH
Sehr geehrter Herr H.,
wir vertreten die G. G. GmbH, [Anschrift].
Sie schlossen am 24.11.2020 einen Mietvertrag über das Produkt 'Apple iPhone 11 Pro - 4GB - 256GB'. Hieraus blieb eine Forderung in Höhe von EUR 164,70 trotz Mahnung unserer Mandantin unbezahlt. [...]"
Auf der zweiten Seite des Schreibens wird auf die "Rechnung vom 28.10.2021 zur Nr. [...]" Bezug genommen und dazu der Betrag von 164,70 EUR genannt, und darunter findet sich die folgende Angabe: "(Mietvertrag mit der G. GmbH vom 24.11.2020)". Die als Anlage K3 zur Akte gereichte Rechnung vom 28.10.2021 mit der besagten Nummer beläuft sich indes nur auf 64,90 EUR, und eine "G. GmbH" existiert nicht.
Die G. G. GmbH verschickte das nach dem bestrittenen Beklagtenvortrag vom Zeugen H. bestellte iPhone unstreitig nach Eingang der ersten Monatsmiete an den Zeugen, dem es gegen Vorlage eines Legitimationspapiers (Personalausweis) zugestellt wurde. Der Zeuge H. befindet bzw. befand sich also im Besitz des von der Mandantin der Beklagten versendeten Mobiltelefons. Dabei ist offen, ob die Zahlung der ersten Monatsmiete v...