Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsschließungsversicherung: PKH - schwierige Rechtsfrage

 

Leitsatz (amtlich)

Ansprüche wegen behördlicher Maßnahmen zur Corona-Pandemie hängen zunächst von den in der Betriebsschließungsversicherung vereinbarten Bedingungen ab.

Wie die Klausel "Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger ..." im Hinblick auf behördliche Maßnahmen in der Corona-Pandemie auszulegen ist, kann nicht abschließend im PKH-Prüfungsverfahren zulasten des VN entschieden werden.

Zusatz: Dies gilt jedenfalls für den Diskussionsstand zum Zeitpunkt dieser Senatsentscheidung Anfang März 2021 und solange sich keine "einheitliche Rechtsprechung" gebildet hat.

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 115 O 240/20)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 8. Januar 2021 wird der sein Prozesskostenhilfegesuch ablehnende Beschluss der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 8. Dezember 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung mit der Maßgabe an das Landgericht Münster zurückverwiesen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt werden darf.

 

Gründe

I. Der Antragsteller betreibt eine Gaststätte in X. Er begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen den Antragsgegner, einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, auf Leistungen aus einer bei diesem im Jahre 2014 genommenen Betriebsschließungsversicherung, der Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) - AVB-BS - (im Folgenden: AVB-BS), ferner Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für Versicherungen von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr (Betriebsschließung) - BBR-BS - (im Folgenden: BBR-BS), jeweils Stand: 1. Januar 2013, zugrunde liegen. Versichert ist eine Tagesentschädigung in Höhe von 3.000 EUR bis zur Dauer von 30 Schließungstagen.

Die AVB-BS lauten auszugsweise wie folgt:

"§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt; ...

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten

...

b) Krankheitserreger

...

[es folgen jeweils eine Auflistung von Krankheiten und Krankheitserregern in Spiegelstrichen, bei denen die Krankheit COVID-19 und der Erreger SARS-CoV-2 nicht enthalten sind]"

Die BBR-BS sehen in Ziff. 2 eine Erweiterung des Katalogs mitversicherter meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger um bestimmte im Bundesseuchenschutzgesetz von 1962 aufgeführte Krankheiten vor.

Aufgrund der öffentlich-rechtlichen Anordnungen im Zuge der COVID-19-Pandemie musste der Antragsteller seine Gaststätte zum 18. März 2020 schließen. Er machte deshalb Leistungen beim Antragsgegner geltend, welche dieser mit der Begründung verweigerte, Schließungen aus generalpräventiven Gründen wie durch Allgemeinverfügung ohne einen konkreten Infektionsfall seien nicht versichert.

Mit seinem Antrag begehrt der Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine Teilklage auf Zahlung von 6.000 EUR nebst Zinsen.

Das Landgericht hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss mit der Begründung zurückgewiesen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO. Eine bedingungsgemäße Betriebsschließung liege nicht vor, weil in § 1 Ziff. 2 AVB-BS weder COVID-19 noch SARS-CoV-2 aufgeführt seien und es sich bei der dortigen Auflistung um eine abschließende Regelung handele, die weder unklar und mehrdeutig im Sinne von § 305c BGB noch über ihren - eindeutigen - Wortlaut einer Auslegung im Sinne einer dynamischen Verweisung zugänglich sei. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer einer Betriebsschließungsversicherung sei vielmehr durch die einschränkende Formulierung "folgende" in § 1 Ziff. 2 AVB-BS klar, dass lediglich die enumerativ aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen. Die Klausel halte einer Transparenzkontrolle stand und sei einer Analogie nicht zugänglich.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller m...

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