Leitsatz (amtlich)
Ein wichtiger Grund im Sinne des § 142 Abs. 1 S. 3 StPO, der es rechtfertigt, nicht den von dem Beschuldigten bezeichneten Verteidiger zu bestellen, kann nur dann angenommen werden, wenn konkret hervorgetretene Umstände ergeben, dass ein Interessenkonflikt besteht, der es dem Verteidiger nicht erlaubt, die Verteidigung mit vollem Einsatz zu führen.
Verfahrensgang
LG Hagen (Entscheidung vom 29.03.2004) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird, soweit die Beiordnung von Rechtsanwalt Kl. als Pflichtverteidiger abgelehnt wurde, aufgehoben.
Dem Angeschuldigten S. wird Rechtsanwalt Jürgen Kl. aus Hagen als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Entscheidung, ob die Beiordnung von Rechtsanwalt Kn. als weiterer Pflichtverteidiger neben Rechtsanwalt Kl. bestehen bleiben soll, bleibt der Vorsitzenden der 1. großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Hagen vorbehalten.
Gründe
I.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2003 hat sich Rechtsanwalt B. in Hagen zum Verteidiger der Angeschuldigten B. bestellt. Die Staatsanwaltschaft Hagen hat unter dem 02. Januar 2004 Anklage wegen falscher Angaben als Gesellschafter bzw. Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung über die Leistung der Einlage in 46 Fällen gegen die Angeschuldigten B. und S. beim Landgericht Hagen erhoben und beantragt, dem Angeschuldigten S. einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Dabei sollen die Angeschuldigte B. als im Handelsregister eingetragene Geschäftsführerin und der Angeschuldigte S. als sog. faktischer Geschäftsführer der U.K. GmbH gemeinschaftlich gehandelt haben, indem sie in den genannten Fällen innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Gesellschaften mit beschränkter Haftung zwecks Weiterverkaufs gegründet hätten.
Unter Einbeziehung der Erwerber soll die Einzahlung der Stammeinlage dem Registergericht jeweils vorgetäuscht worden sein, wobei wiederholt z.T. an demselben Tag mehrere Eintragungsanträge bei den betreffenden Registergerichten eingegangen sein sollen.
Inzwischen ist unter Rücknahme der genannten Anklage am 19. April 2004 eine berichtigte Anklage gegen die Angeschuldigten wegen falscher Angaben im Sinne des § 82 GmbHG in 43 Fällen und in vier weiteren Fällen wegen Beihilfe hierzu erhoben worden. Die am selben Tag bei dem Landgericht Hagen eingegangene Anklage ist bisher den Angeschuldigten noch nicht zugestellt worden.
Anlässlich der Zustellung der Anklage vom 02. Januar 2004 hatte die Vorsitzende der 1. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Hagen dem Angeschuldigten S. mit Begleitschreiben vom 15. März 2004 u.a. mitgeteilt, dass sie beabsichtige, ihm Rechtsanwalt Kn. in Hagen als Pflichtverteidiger beizuordnen und er Gelegenheit erhalte, einen anderen Pflichtverteidiger -möglichst aus dem Bezirk des Landgerichts Hagen- vorzuschlagen, falls er mit dieser Auswahl nicht einverstanden sei.
Nach Anklagezustellung am 19. März 2004 meldete sich Rechtsanwalt B. mit am gleichen Tage per Telefax eingegangenen Schreiben vom 23. März 2004 und beantragte, dem Angeschuldigten S. Rechtsanwalt Kl. in Hagen als Verteidiger beizuordnen, mit dem er gemeinsam sowie mit Rechtsanwalt G. in einer Anwaltssozietät tätig ist.
Mit Telefax vom 26. März 2004 zeigte sodann Rechtsanwalt Kl. unter Versicherung ordnungsgemäßer Bevollmächtigung an, den Angeschuldigten S. zu vertreten und beantragte -unter Niederlegung des Wahlmandates-, diesem als Verteidiger beigeordnet zu werden.
In einem Vermerk vom 26. März 2004 hielt die Kammervorsitzende fest, Rechtsanwalt Kl. nach Erörterung von § 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) darauf hingewiesen zu haben, dass nach Aktenlage widerstreitende Interessen der Angeschuldigten bestehen könnten. Darauf habe - so der Vermerk - Rechtsanwalt Kl. erklärt, sich derzeit nicht äußern zu können, da er erst nach Akteneinsicht ein ausführliches Gespräch mit seinem Mandanten führen wolle.
Die Kammervorsitzende hat sodann mit dem angefochtenen Beschluss vom 29. März 2004 dem Angeschuldigten S. Rechtsanwalt Kn. in Hagen als Verteidiger beigeordnet und zugleich seinen Antrag auf Beiordnung von Rechtsanwalt Kl. abgelehnt.
Zur Begründung wird ausgeführt:
"Durch die Beiordnung von Rechtsanwalt Kl. als Pflichtverteidiger wäre dem Anspruch des Angeschuldigten auf eine uneingeschränkt interessengerechte Verteidigung nicht Rechnung getragen.
Die Mitangeschuldigte B. wird durch Rechtsanwalt B. verteidigt, der in Bürogemeinschaft mit Rechtsanwalt Kl. verbunden ist. Nach § 3 Abs. 2 der Berufsordnung der Rechtsanwälte in der Fassung vom 01.07.2003 ist es in einem solchen Fall einem Rechtsanwalt verboten, einen weiteren Mandanten in widerstreitenden Interessen zu vertreten. Wenn er ein solches widerstreitendes Interesse im Verfahren erkennt, hat er nach § 3 Abs. 4 der Berufsordnung der Rechtsanwälte alle Mandate in derselben Rechtssache zu beenden.
Die Fürsorgepflicht eines Vorsitzenden verbietet es deshalb regelmäßig, einen Pflichtverteidiger zu bestellen, der die Verteidigung wegen eines Interessenkonfliktes möglicherweise nicht mit vo...