Leitsatz (amtlich)
Eine Ersatzzustellung, die durch Einwurf in einen in der Hauseingangstür eines Mehrfamilienhauses angebrachten gemeinsamen Briefeinwurfschlitz vorgenommen wird, ist unwirksam.
Verfahrensgang
LG Münster (Entscheidung vom 17.03.2004; Aktenzeichen 4 Ns 21 Js 1054/03 (97/03)) |
AG Warendorf (Entscheidung vom 28.08.2003; Aktenzeichen 4 a Ds 21 Js 1054/03 (165/03)) |
OLG Hamm (Aktenzeichen 4 Ss 203/04) |
Tenor
1.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt.
2.
Der angefochtene Beschluß vom 1. April 2004 wird aufgehoben.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung gewährt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
3.
Damit sind das angefochtene Urteil und die dagegen gerichtete Revision gegenstandslos.
Gründe
I.
Der Angeklagte ist durch das Urteil des Amtsgerichts Warendorf vom 28. August 2003 wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Seine dagegen form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil gemäß § 329 StPO verworfen, weil der Angeklagte "ungeachtet der durch die Urkunde vom 09.12.2003 nachgewiesenen Ladung" ohne genügende Entschuldigung der Hauptverhandlung ferngeblieben sei. Dieses Urteil ist dem Angeklagten am 23. März 2004 ordnungsgemäß zugestellt worden. Mit Schriftsatz seines neuen Verteidigers vom 23. März 2004, der am selben Tage bei dem Landgericht Münster eingegangen ist, hat der Angeklagte beantragt, ihm "Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen das Verwerfungsurteil vom 17.03.2004 zu gewähren". Zugleich hat er gegen das Urteil Revision eingelegt. Den Wiedereinsetzungsantrag hat das Landgericht Münster durch Beschluß vom 9. April 2004 verworfen. Dieser Beschluß ist den Verteidigern des Angeklagten jeweils am 14. April 2004 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 20. April 2004, der am folgenden Tage bei dem Landgericht eingegangen ist, hat der Angeklagte die Revision durch seinen Verteidiger begründen lassen. Unter demselben Datum, jedoch am 22. April 2004 bei dem Landgericht Münster eingegangen, hat der Angeklagte gegen den die Wiedereinsetzung verwerfenden Beschluß des Landgerichts Münster sofortige Beschwerde eingelegt.
II.
1.
Der Angeklagte hat die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den die Wiedereinsetzung versagenden Beschluß des Landgerichts Münster vom 1. April 2004 versäumt. Dieser Beschluß ist seinen Verteidigern am 14. April 2004 zugestellt worden, so daß die sofortige Beschwerde (vgl. §§ 46 Abs. 3, 311 Abs. 2 StPO) bis zum 21. April 2004 bei dem Landgericht hätte eingehen müssen. Sie ist dort jedoch erst am 22. April 2004 und damit um einen Tag verspätet eingegangen.
Dem Angeklagten war jedoch insoweit von Amts wegen auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu gewähren, weil ihn an der Versäumung der Frist ersichtlich kein Verschulden trifft, die Fristversäumung vielmehr auf einem Anwaltsverschulden beruht (§§ 44, 45 StPO). Der Verteidiger hat den Schriftsatz mit der Einlegung der sofortigen Beschwerde erst unter dem 20. April 2004 gefertigt. Um die Einhaltung der Frist sicherstellen, hätte der Schriftsatz vorab per Fax an das Landgericht übersandt oder auf andere Weise der fristgerechte Eingang sichergestellt werden müssen. Dieses Versäumnis hat der Angeklagte ersichtlich nicht zu vertreten.
2.
Auf die danach zulässige sofortige Beschwerde war der angefochtene Beschluß des Landgerichts Münster vom 1. April 2004 aufzuheben, dem Angeklagten war auf seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren.
Zwar hat der Angeklagte mangels wirksamer Ladung die Berufungshauptverhandlung nicht versäumt, jedoch finden §§ 44, 45 StPO auch Anwendung, wenn ein Beschwerdeführer irrtümlich so behandelt worden ist, als habe er eine Frist versäumt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, StPO, 47. Auflage, § 44 Rdnr. 2, KK-Maul, StPO, 5. Auflage, § 44 Rdnr. 6 jew. m.z.w.N.).
Das Landgericht ist fehlerhaft von einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung ausgegangen. Nach der Zustellungsurkunde vom 9. Dezember 2003 ist die Zustellung an den Angeklagten durch "Einlegen in den Briefkasten oder in eine ähnliche Einrichtung" erfolgt.
Diese grundsätzlich gemäß §§ 37 StPO, 180 ZPO mögliche Ersatzzustellung war vorliegend unwirksam. Im Wiedereinsetzungsverfahren hat der Angeklagte durch Vorlage entsprechender Lichtbilder nachgewiesen, daß das Haus, das er gemeinsam mit drei weiteren Mietparteien bewohnt, nur über einen einzigen Briefkastenschlitz verfügt. Von außen eingeworfene Post fällt auf den Fußboden des ge...