Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafzumessung. nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe. Härteausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe (§ 55 StGB) ist auch im Berufungsverfahren zwingend geboten und darf nur dann dem nachträglichen Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlassen werden, wenn das Tatgericht aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen keine sichere Entscheidung fällen kann, ohne hierzu noch weitere, mit erheblichem Zeitaufwand verbundene Ermittlungen vornehmen zu müssen, und das Fehlen ausreichender Unterlagen nicht auf ungenügender Vorbereitung der Hauptverhandlung beruht.
2. Das Unterlassen einer Gesamtstrafenbildung führt auch im Fall eines unklaren Vollstreckungsstands lediglich zur Aufhebung der gebildeten Gesamtstrafe und nicht des Rechtsfolgenausspruchs insgesamt. Denn ein Härteausgleich, weil eine frühere Strafe nicht mehr zur Gesamtstrafenbildung herangezogen werden kann, wird in der Regel nur dann durch Milderung einer Einzelstrafe erfolgen, wenn im neuen Urteil eine entsprechende Gesamtstrafenbildung nicht möglich ist.
Normenkette
StGB § 55 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Dortmund (Entscheidung vom 07.06.2016; Aktenzeichen 48 Ns 20/16) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht -Schöffengericht- Dortmund hat den Angeklagten am 07.06.2016 wegen Beleidigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung in einem minder schweren Fall und wegen Diebstahls in elf Fällen, davon in einem Fall im Versuch und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten, die nachträglich auf das Strafmaß beschränkt wurde, hat das Landgericht mit Urteil vom 29.09.2016 verworfen.
Gegen das Urteil des Landgerichts wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat - zumindest vorläufig - im Umfang der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe Erfolg. Im Umfang der Aufhebung war die Sache nach § 354 Abs. 2 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen.
Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die aufgrund der wirksamem Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwachsen Feststellungen des Amtsgerichtes tragen den Schuldspruch. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand, soweit es die Zumessung der jeweiligen Einzelstrafen betrifft.
Als rechtsfehlerhaft zu beanstanden ist jedoch, dass das Landgericht nicht hinreichend geprüft hat, ob mit den im Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 14.12.2015 festgesetzten Einzelstrafen und nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe eine nachträgliche Gesamtstrafe hätte gebildet werden können. Da der Angeklagte die den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Straftaten sämtlich vor dem 14.12.2015, dem Tag des Erlasses des Strafbefehls durch das Amtsgericht Hamburg begangen hat, lagen die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB vor, falls die Gesamtgeldstrafe zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Urteils noch nicht vollstreckt, verjährt oder erlassen war. Ob dies der Fall war, lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend sicher entnehmen. Es wird lediglich ausführt, eine Gesamtstrafenbildung sei nicht möglich, weil die dortige Gesamtgeldstrafe entweder bereits vollständig oder jedenfalls weitgehend vollstreckt worden sei.
Die Bestimmung des § 55 StGB ist auch im Berufungsverfahren zu beachten. Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist zwingend geboten und darf nur dann dem nachträglichen Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlassen werden, wenn das Tatgericht aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen keine sichere Entscheidung fällen kann, ohne hierzu noch weitere, mit erheblichem Zeitaufwand verbundene Ermittlungen vornehmen zu müssen, und das Fehlen ausreichender Unterlagen nicht auf ungenügender Vorbereitung der Hauptverhandlung beruht (zu vgl. BGHSt 12, S. 1 ff., 10; BGH, Urteil vom 17.02.2004 - 1 StR 369/03 -, [...] m. w. N.).
Dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Es wird lediglich mitgeteilt, dass die Akte (der Staatsanwaltscha...