Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung des Gerichts, dem Bevollmächtigten eines Verfahrensbeteiligten auf Verlangen eines anderen Beteiligten den Nachweis seiner Bevollmächtigung durch eine öffentlich beglaubigte Vollmacht aufzugeben (§ 13 S. 3 FGG), findet im Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ihre Grenze.
2. Das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtung eines Beschlusses über den Wirtschaftplan entfällt, wenn eine bestandskräftige Beschlussfassung der Eigentümerversammlung über die Genehmigung der Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr vorliegt und der anfechtende Wohnungseigentümer sämtliche Wohngeldvorauszahlungen nach dem Wirtschaftsplan gezahlt hat.
3. Im Verfahren nach dem WEG kann eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde, die sich zunächst auf eine Teilanfechtung der Entscheidung des AG beschränkt, auch nach Ablauf der Beschwerdefrist auf weitere Verfahrensgegenstände erweitert werden, über die durch den angefochtenen Beschluss entschieden worden ist.
Normenkette
FGG § 13 S. 3; WEG § 43 Abs. 1 Nr. 4, § 45 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Beschluss vom 23.12.2005; Aktenzeichen 23 T 858/05) |
AG Bielefeld (Aktenzeichen 5-II (WEG) 87/05) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen, das auch über die Gerichtskosten und die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens der sofortigen weiteren Beschwerde zu entscheiden hat.
Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 2.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligte zu 1) ist Eigentümerin einer im 1. Obergeschoss der Wohnungseigentumsanlage Y.-Straße in C. gelegenen Wohnung. Zu dieser Wohnung gehört ein Balkon. Die Beteiligte zu 1) hat bereits seit längerem an der Außenseite der Balkonbrüstung Blumenkästen angebracht. Hierüber kam es zwischen ihr und der Miteigentümerin Y. zum Streit. Auf Antrag von Frau Y. fasste die Wohnungseigentümerversammlung am 23.5.2005 unter Tagesordnungspunkt 5 folgenden Beschluss:
Beschlussfassung über den Antrag der Eigentümerin Y., das Aufhängen von Blumenkästen nur balkoninnenseitig zu genehmigen. Das Aufhängen von Blumenkästen an der Außenseite der Balkonbrüstung soll untersagt werden, um Verschmutzungen der darunter befindlichen Terrassen zu vermeiden.
Den gegen diesen Eigentümerbeschluss gerichteten, rechtzeitig gestellten Beschlussanfechtungsantrag der Beteiligten zu 1) hat das AG durch Beschluss vom 3.11.2005 zurückgewiesen. Mit der rechtzeitig erhobenen sofortigen Beschwerde hat die Beteiligte zu 1) ihren Antrag weiterverfolgt. Das LG hat durch Beschluss vom 23.12.2005 die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 1) mit der sofortigen weiteren Beschwerde vom 16.1.2006.
II. Die sofortige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) ist nach § 45 Abs. 1 WEG, §§ 27, 29 Abs. 1 und 2 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist ohne Rücksicht auf den Beschwerdewert zulässig, weil sie sich dagegen richtet, dass die sofortige Erstbeschwerde als unzulässig verworfen worden ist (BGH v. 17.9.1992 - V ZB 21/92, BGHZ 119, 216 = MDR 1992, 1177).
In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, weil das LG die sofortige Erstbeschwerde zu Unrecht als unzulässig verworfen hat.
Nach § 45 Abs. 1 WEG ist gegen die Entscheidung des AG im Verfahren nach dem Wohnungseigentumsgesetz die sofortige Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Gegenstandes der Beschwerde 750 EUR übersteigt. Der Beschwerdewert ist dabei ausschließlich nach der Beschwer des Rechtsmittelführers, also seinem Interesse an der Änderung der angefochtenen Entscheidung zu bemessen. Es kommt danach nicht darauf an, welche Bedeutung die vom AG getroffene Regelung für den Antragsteller oder die Eigentümergemeinschaft insgesamt hat. Maßgebend ist vielmehr die vermögensmäßige Beeinträchtigung allein des Beschwerdeführers, die sich für ihn ergibt, wenn es bei der angefochtenen Entscheidung des AG verbleibt (BGH v. 17.9.1992 - V ZB 21/92, BGHZ 119, 216 = MDR 1992, 1177).
Das LG hat die Beschwer der Beteiligten zu 1) mit bis zu 300 EUR bewertet und hierzu ausgeführt: Zu berücksichtigen sei insb., dass die Antragstellerin nicht verpflichtet sei, die Blumenkästen auf der Balkoninnenseite anzubringen, sie könne auch ganz auf Blumenkästen verzichten. Aber auch bei einem Anbringen auf der Innenseite sei die vermögenswertmäßige Nutzung des Balkons nicht in einer Höhe, die 750 EUR übersteige, beeinträchtigt. Die Antragstellerin könne den Balkon auch in diesem Falle vollständig und in vergleichbarer Art nutzen wie bisher. Allenfalls müsse sie sich neue Balkonkästen anschaffen.
Nach Auffassung des Senats übersteigt vorliegend die Beschwer der Beteiligten zu 1) den Wert von 750 EUR. Maßgeblich ist insoweit, wovon auch das LG ausgegangen ist, deren Interesse, die Blumenkästen weiterhin an der Außenseite ihres Balkons aufhängen zu können. Es hat sich jedoch...