Entscheidungsstichwort (Thema)

Qualifizierter Rotlichtverstoß. Umfahren einer Lichtzeichenanlage. Tankstellengelände

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Lichtzeichenanlage die für den Betroffenen Rotlicht zeigt, verbietet nicht, vor der Ampelanlage auf einen nicht durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich (hier: ein Tankstellengelände) abzubiegen und nach Durchfahren dieses Geländes hinter der Lichtzeichenanlage wieder in den durch sie geschützten Verkehrsraum einzufahren. Das gilt auch dann, wenn dieser Fahrvorgang der Umfahrung der Lichtzeichenanlage dient. Es liegt dann kein Rotlichtverstoß vor.

 

Normenkette

StVO §§ 2, 37, 49; StVG §§ 24-25

 

Verfahrensgang

AG Dortmund (Aktenzeichen 742 OWi 52/12)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot (unter Gewährung der sog. "Viermonatsfrist") verhängt (§§ 37 Abs. 2, 49 StVO, 24, 25 StVG). Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil befuhr der Betroffene am 20.09.2012 in E den C I-Weg und wollte links in die P-Straße abbiegen. Da an der Kreuzung die Lichtzeichenanlage für den Betroffenen Rotlicht zeigte, bog der Betroffene vor der Kreuzung nach links auf das Gelände einer im Eckbereich der beiden Straßen liegenden Tankstelle ab. Er überquerte das Tankstellengelände und verließ dieses an der Ausfahrt zur P-Straße, indem er in diese nach links einbog.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Er meint, sein Verhalten stelle keinen qualifizierten Rotlichtverstoß dar.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, weil die Feststellungen eine Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes nicht trügen. Es sei nicht festgestellt, ob der Betroffene vom Tankstellengelände noch im von der Lichtzeichenanlage geschützten Kreuzungsraum in die P-Straße eingefahren sei und ob dies bei fortdauerndem Rotlicht geschah.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Betroffene war freizusprechen (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 354 Abs. 1 StPO).

Das hier festgestellte Verhalten des Betroffenen erfüllt weder den Bußgeldtatbestand nach §§ 49, 37 Abs. 2 StVO noch nach §§ 49, 2 Abs. 1 StVO. Auch sonst ist keine Verletzung eines Bußgeldtatbestandes ersichtlich. Ob sich der Betroffene zivilrechtlich (im Verhältnis zum Tankstellenbetreiber) rechtmäßig verhalten hat, ist nicht Gegenstand des Verfahrens.

1.

Im Grundsatz noch zutreffend ist der Ansatz des Amtsgerichts, dass das Umfahren einer Lichtzeichenanlage einen Rotlichtverstoß darstellen kann. Das Rotlicht der Verkehrssignalanlage ordnet an: "Halt vor der Kreuzung oder Einmündung" (vgl. § 37 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StVO). Es schützt den Querverkehr oder den einmündenden Verkehr, der für seine Fahrtrichtung durch Grünlicht der Signalanlage freie Fahrt hat und sich darauf verlassen darf, dass aus der gesperrten Fahrtrichtung keine Fahrzeuge in den geschützten Kreuzungs- oder Einmündungsbereich hineinfahren. Dadurch sollen solche Gefahrensituationen ausgeschlossen werden, die erfahrungsgemäß zu schweren Verkehrsunfällen führen können. Zu dem durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich gehört der gesamte Kreuzungs- oder Einmündungsbereich, wobei außer der Fahrbahn auch die parallel verlaufenden Randstreifen, Parkstreifen, Radwege oder Fußwege diesem Bereich zuzuordnen sind (OLG Düsseldorf ZfSch 1984, 62, 63; OLG Düsseldorf NZV 1993, 243; OLG Hamm, Beschl. v. 25.01.2006 - 1 SsOWi 223/05 -[...]; OLG Hamm, Beschl. v. 17.06.2005 - 1 Ss OWi 223/05 - [...]). Auch der Bereich in einer Entfernung von 10 -15 m hinter der Lichtzeichenanlage gehört noch zum geschützten Bereich (OLG Hamm NStZ-RR 2002, 250). Vor diesem Hintergrund ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass derjenige, der die Fahrbahn vor einer für ihn Rotlicht zeigenden Ampelanlage verlässt und diese über den Gehweg, Randstreifen, Parkstreifen, Radweg oder eine Busspur umfährt, um hinter der Ampelanlage in dem durch sie geschützten Bereich wieder auf die Fahrbahn aufzufahren, sich eines Rotlichtverstoßes schuldig macht (OLG Düsseldorf VRS 68, 377; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 55; OLG Hamm NStZ-RR 2002, 250; OLG Karlsruhe NZV 1989, 158; OLG Köln VRS 61, 291). Gleiches gilt, wenn jemand auf einer Fahrbahn mit mehreren durch Leitlinien bzw. Fahrstreifenbegrenzungen und Richtungspfeile markierten Fahrstreifen mit jeweils eigener Lichtzeichenregelung auf der durch Grünlicht freigegebenen Geradeausspur in eine Kreuzung einfährt und nach Überfahren der Haltlinie auf den durch Rotlicht gesperrten Fahrstreifen für Linksabbieger wechselt (BayObLG NZV 2000, 4...

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