Leitsatz (amtlich)
Die Frage, ob es für die Verjährungsunterbrechung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG aufgrund vorläufiger Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen darauf ankommt, ob ein Irrtum der Verfolgungsbehörde über die tatsächliche Abwesenheit des Betroffenen unverschuldet sein muss oder nicht, kann offen bleiben, wenn der Irrtum der Bußgeldbehörde über den Aufenthaltsort des Betroffene auf falschen Angaben einer anderen Behörde beruhen.
Verfahrensgang
AG Herne (Entscheidung vom 29.03.2007) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die Sache wird dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird verworfen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen Nichteinhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug, Nichtanlegens des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes und fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 90 EUR verurteilt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, deren Zulassung er beantragt hat. Der Betroffene beruft sich auf Verjährung. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Da die verhängte Geldbuße nicht mehr als 100 EUR beträgt, richten sich die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG. Danach ist die Rechtsbeschwerde in den Verfahren mit den so genannten weniger bedeutsamen Fällen nur zulässig zur Fortbildung des materiellen Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 2 OWiG) oder wenn das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Vorliegend ist die Entscheidung über die zulässige Rechtsbeschwerde zugelassen und auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen worden, weil es geboten ist, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen. Der vorliegende Einzelfall gibt Veranlassung, erneut die Frage des Anwendungsbereichs des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG näher zu klären, und zwar für den Fall, dass die Anschrift des Betroffenen von der Polizei falsch aufgenommen wird und die Bußgeldbehörde den Bußgeldbescheid daraufhin erfolglos an die falsch notierte Anschrift zuzustellen versucht. Zwar sind Verfahrenshindernisse wie die Verjährung grundsätzlich nach § 80 Abs. 5 OWiG im Zulassungsverfahren unbeachtlich, wenn sie - wie hier - bereits vor Erlass des Urteils im ersten Rechtszug vorgelegen haben. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war hier jedoch ausnahmsweise geboten (vgl. dazu Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 80 Rn. 24 mit weiteren Nachweisen), um zur Frage der Verfolgungsverjährung bei Irrtümern der Behörde über die Anwesenheit des Betroffenen ein klärendes Wort zu sprechen. Insoweit handelt es sich um eine Alleinentscheidung des mitentscheidenden Einzelrichters.
III.
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheides am 21. oder 29. Dezember 2006 - das Datum ist nicht lesbar - noch keine Verfolgungsverjährung eingetreten. Insoweit ist von folgendem Verfahrengang auszugehen:
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene die Ordnungswidrigkeiten am 4. September 2006 begangen; er wurde am selben Tage hierzu angehört. Der Bußgeldbescheid der Stadt Herne wurde am 2. Oktober 2006 erlassen, dem Betroffenen jedoch erst am 21. oder 29. Dezember 2006 zugestellt.
Zu diesem Zeitpunkt war aber Verjährung noch nicht eingetreten.
Die Verjährungsfrist beträgt gemäß §§ 24, 26 Abs. 3 StVG drei Monate und nach Erlass des wirksam zugestellten Bußgeldbescheides sechs Monate. Dabei beginnt - entgegen dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 StVG - die auf sechs Monate verlängerte Frist nicht mit dem Erlass des Bußgeldbescheides, sondern erst dann, wenn durch den Bußgeldbescheid die Verjährung nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen wurde (BGHSt 45, 261, 264). Die dreimonatige Verjährungsfrist verlängert sich also nur dann auf sechs Monate, wenn ein wirksamer Bußgeldbescheid erlassen und wirksam zugestellt worden ist.
Zwar hat der Erlass des Bußgeldbescheides am 2. Oktober 2006 die Verjährung - entgegen der Ansicht des Amtsgerichts - nicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen, da er nicht binnen zwei Wochen, sondern erst am 21. oder 29. Dezember 2006 wirksam zugestellt werden konnte. Unabhängig davon war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine Verjährung eingetreten, weil diese durch die am 13. Oktober 2006 erfolgte vorläufige Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG wirksam unterbrochen worden war und die Verjährung gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 OWiG daher neu zu laufen begonnen hatte.
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