Entscheidungsstichwort (Thema)
Erledigung. Unterbringung. psychiatrisches Krankenhaus. Schwere der Tat Vergewaltigung. Unverhältnismäßigkeit. Vollzug. Strafe. Maßregelvollzug
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt angesichts des langjährigen Freiheitsentzuges auch im Rahmen der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung Bedeutung zu.
2. Bei der nach § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB gebotenen Berücksichtigung der individuellen Lebensumstände des Verurteilten kann die Dauer einer Freiheitsentziehung - auch wenn sie gem. § 67 Abs. 4 StGB nur teilweise auf die Strafe angerechnet wird - als notwendige Bedingung des Maßregelvollzuges aus Anlass der Tat nicht außer Betracht bleiben.
3. Dauert der Freiheitsentzug insgesamt sehr lange an, ist die Verhältnismäßigkeit durch eine "integrative Betrachtung" im Rahmen der Aussetzungsvoraussetzungen zu prüfen, indem der staatliche Strafanspruch sowie die von dem Verurteilten ausgehenden und das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit berührenden Gefahren ins Verhältnis zu setzen sind zu der Schwere des mit dem weiteren Freiheitsentzug verbundenen Eingriffs.
4. Besteht noch eine mittlere bis hohe Wahrscheinlichkeit für erneute Sexualstraftaten (Vergewaltigungen) zum Nachteil zufällig ausgewählter Tatopfer und ist der Verurteilte nicht ausreichend auf eine Entlassung vorbereitet, ist die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe auch nach fünfzehnjährigem Freiheitsentzug nicht unverhältnismäßig.
5. In Fällen, in denen nach Beendigung der Maßregel ein Strafrest verbleibt, kann die Vollstreckung dieses Strafrestes im Maßregelvollzug angeordnet werden; denn § 67 Abs. 5 Satz 2 StGB regelt lediglich eine vollzugliche Überweisung, bewirkt aber keine Änderung des Rechtscharakters - Strafe oder Maßregel - der vollzogenen Freiheitsentziehung.
6. Mit einem Verbleib eines Verurteilten im Maßregelvollzug soll seinem Interesse Rechnung getragen werden, einen schon erreichten Therapieerfolg nicht wieder zu gefährden und die vollziehende Anstalt möglichst wenig zu wechseln.
Normenkette
StGB § 67d Abs. 6 Sätze 1, 3, Abs. 3, § 67 Abs. 5 S. 2 Hs. 1, §§ 67e, 177
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen IV StVK 97/17) |
Tenor
- Dem Verurteilten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt.
- Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
- Die Kosten der Wiedereinsetzung und des Beschwerdeverfahrens werden dem Verurteilten auferlegt.
Gründe
I.
Am 16. August 1990 verurteilte das Landgericht Hagen den Verurteilten wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten und ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Verurteilung liegt eine Tat vom am 12. August 1998 zugrunde, die der Verurteilte während eines Hafturlaubs aus dem Jugendvollzug beging. Er irrte nachts angetrunken in der Stadt umher und traf auf die Geschädigte, die sich nach einem Gaststättenbesuch auf dem Heimweg befand. Bei dem Verurteilten entstand das Gefühl, diese Person schlagen und ihr Schmerzen zufügen zu müssen, um seine Aggressionen abzubauen. Er rannte auf die Geschädigte zu und schlug ihr mindestens zweimal gezielt mit der Faust kräftig gegen den Kopf. Die Geschädigte taumelte rückwärts gegen ein Garagentor, an dem sie herunterrutschte, hielt sich schützend die Arme vor den Kopf und begann laut zu schreien. Der Verurteilte schlug dennoch weiter mehrfach unkontrolliert auf die Geschädigte ein. Die Maßregel wurde vom 28. Mai 1991 bis zum 10. Oktober 1994 vollzogen. Mit Beschluss vom 2. September 1994 wurde die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge angeordnet und der Verurteilte verbüßte die Freiheitsstrafe in der Zeit bis zum 19. November 1995. Anschließend wurde er entlassen, ohne dass zuvor eine Entscheidung über den weiteren Vollzug der Maßregel ergangen war. Mit Beschluss vom 26. Dezember 1996 lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld die bedingte Entlassung des Verurteilten ab, in der Folgezeit konnte für ihn kein Platz in einer Maßregelvollzugseinrichtung zur Verfügung gestellt werden. Schließlich setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld mit Beschluss vom 18. November 1999 die weitere Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung aus und stützte sich auf ein Gutachten des Sachverständigen Dr. med. S vom 23. Dezember 1999.
Mit Urteil vom 16. Oktober 2000, rechtskräftig seit dem 23. Februar 2001, verurteilte das Landgericht Kleve den Verurteilten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und ordnete erneut seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Ferner wurde angeordnet, dass drei Jahre der Freiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollstrecken seien. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Verurteilte am frühen Morgen des 30. April 2000 über ein Dachfenster in die Nachbarwohnung einstieg und die Bewohnerin in deren Schlafzimmer vergewaltigte. Dabei drohte er, sie zu schlagen bzw. ...