Leitsatz (amtlich)
Im Zustand der Schuld- und Zurechnungsunfähigkeit begangene Zuwiderhandlungen gegen eine Gewaltschutzanordnung können zivilrechtlich nicht mit Ordnungsgeld oder Ordnungshaft geahndet werden.
Normenkette
BGB § 276 Abs. 1 S. 2, § 827 Abs. 1 S. 1; FamFG § 95; ZPO § 890
Verfahrensgang
AG Meschede (Beschluss vom 27.05.2016; Aktenzeichen 7 F 101/10) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Meschede vom 27.05.2016 aufgehoben und die Anträge des Antragstellers auf Festsetzung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft gegen die Antragsgegnerin werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Der Wert für die Beschwerdeinstanz wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Festsetzung von Ordnungshaft wegen Verstößen gegen Anordnungen nach dem GewaltschutzG.
Der Antragsteller ist seit vielen Jahren Pfarrer in der katholischen Pfarrgemeinde St. P in O. Er lebt im dortigen Pfarrhaus. Die am ... 1943 geborene Antragsgegnerin lebt ebenfalls in O. Seit ca. 2001 bis heute belästigt sie den Antragsteller ganz erheblich und überaus häufig, insbesondere durch
- häufige und regelmäßige Anrufe, teilweise mehrmals täglich, auch zur Nachtzeit, auch mit Aufforderungen zu sexuellen Handlungen,
- Übersendung von Postkarten, Briefen und Paketen, insbesondere mit Liebesbekundungen und Aufforderungen zu sexuellen Handlungen,
- Ansprechen und Anschreien im öffentlichen Raum, auch mit Aufforderungen zu sexuellen Handlungen,
- Aufsuchen des Grundstücks des Pfarrhauses,
- Tanzen auf dem Gelände des Pfarrhauses, auch in Unterwäsche, nur teilweise bekleidet oder nackt,
- Deponieren von Gegenständen auf dem Grundstück des Pfarrhauses, auch von solchen mit sexuellen Anspielungen (Präservative, Gurken, Möhren, Bananen und Maiskolben),
- Belästigung des Antragstellers in der Kirche in O, auch lautstark, und Störung von Gottesdiensten, die er feiert,
- Verunstalten des Pkw des Antragstellers durch Bemalen und Ablegen von Gegenständen.
Mit Beschluss vom 09.09.2011 untersagte das AG - Familiengericht - Meschede der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung und gestützt auf das GewaltschutzG:
- sich der Wohnung des Antragstellers U-Straße, O, sowie dem Pfarrheim der Kirchengemeinde O näher als 50 m zu nähern,
- sich dem Antragsteller näher als 50 m zu nähern,
- mit dem Antragsteller - auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln per Telefon, Handy, Fax, SMS - Verbindung aufzunehmen.
- Falls es zu einem zufälligen Zusammentreffen komme, habe die Antragsgegnerin sofort einen gebührenden Abstand herzustellen.
Zugleich drohte das Familiengericht der Antragsgegnerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten an.
Auf die mündliche Verhandlung vom 09.12.2011 hielt das Familiengericht seinen vorgenannten Beschluss mit weiterem Beschluss vom 09.12.2011 aufrecht.
Mit Beschluss vom 25.01.2012 setzte das AG - Familiengericht - Meschede auf Antrag des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin wegen Zuwiderhandlungen gegen die Anordnungen in dem Beschluss vom 09.09.2011, begangen am 24.12.2011, 27.12.2011, 01.01.2012, 04.01.2012 und 05.01.2012, Ordnungshaft von 3 Monaten fest.
Die gegen diesen Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wies der Senat durch Beschluss vom 29.02.2012 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Senat im Wesentlichen aus, dass die Antragsgegnerin, wie das AG im Einzelnen festgestellt habe, mehrfach gegen die Unterlassungsgebote in dem erstinstanzlichen Beschluss vom 09.09.2011 verstoßen habe. Sie habe nicht hinreichend dargelegt, dass sie schuldunfähig sei. Die angeordnete Ordnungshaft und deren Dauer seien nicht zu beanstanden. Die Verhängung eines weiteren Ordnungsgeldes reiche nicht mehr aus, da das AG bereits dreimal ein Ordnungsgeld gegen sie festgesetzt habe, ohne dass dies sie von weiteren Handlungen zum Nachteil des Antragstellers habe abhalten können.
In der Folgezeit verbüsste die Antragsgegnerin die dreimonatige Ordnungshaft.
Über die Antragsgegnerin wurden in der Vergangenheit in diversen gerichtlichen Verfahren mehrere Gutachten erstattet:
a) Der Sachverständige Dr. M führte in seinem für die 6. Zivilkammer des LG Arnsberg erstatteten Gutachten vom 10.05.2008 (Bl. 87 - 128 d.A.) aus:
- Die Antragsgegnerin leide an einer histrionischen Persönlichkeitsstörung, nicht aber an einer wahnhaften Störung oder an einer posttraumatischen Belastungsstörung, ebenso wenig an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Typ Borderline,
- aufgrund der histrionischen Persönlichkeitsstörung seien ihre Fähigkeiten, das Unrecht ihrer Handlungen zum Nachteil des Antragstellers einzusehen, nicht eingeschränkt, ebenso wenig ihre Steuerungsfähigkeit bezüglich dieser Handlungen.
b) Der Sachverständige Dr. S stellte in seinem für die Staatsanwaltschaft Arnsberg in den Verfahren 292 Js 58/0...