Leitsatz (amtlich)

Zur sachlichen und örtlichen zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer

 

Normenkette

StPO § 462a

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 100 StVK 173/12)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Essen verurteilte den Beschwerdeführer in der vorliegenden Sache am 20. März 2009 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, deren Vollstreckung das Amtsgericht zur Bewährung aussetzte. Die Bewährungszeit setzte das Amtsgericht auf drei Jahre fest. Das Urteil ist seit dem 28. März 2009 rechtskräftig. Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung und danach noch bis zu seiner Haftentlassung am 20. April 2009 befand sich der Beschwerdeführer zum Zwecke der Verbüßung einer im Jahre 2006 gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe von sechs Monaten in der JVA Castrop-Rauxel (Landgerichtsbezirk Dortmund).

Am 19. Mai 2009 übersandte das Amtsgericht Essen das Bewährungsheft an das Amtsgericht Marl, in dessen Bezirk der Verurteilte zum damaligen Zeitpunkt wohnte.

Das Amtsgericht Marl verurteilte den Beschwerdeführer am 14. Dezember 2010 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung. Gegenstand dieses Urteils war eine am 5. März 2010 begangene Tat. Eine Abschrift des Urteils gelangte im Mai 2011 zum Bewährungsheft. Am 11. Juni 2011 gelangte eine Mitteilung des Bundesamtes für Justiz zum Bewährungsheft, nach der das Urteil vom 14. Dezember 2010 am 18. Mai 2011 rechtskräftig geworden war.

Am 5. Oktober 2011 wurde der Verurteilte zur Verbüßung der durch das Urteil vom 14. Dezember 2010 verhängten dreimonatigen Freiheitsstrafe in die JVA Bielefeld-Senne aufgenommen.

Mit Beschluss vom 19. Oktober 2011 widerrief das Amtsgericht Marl - unter Hinweis auf die erneute Verurteilung vom 14. Dezember 2010 - die durch das Urteil vom 20. März 2009 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Auf die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht Essen - Beschwerdekammer - mit Beschluss vom 25. November 2011 den Beschluss des Amtsgerichts Marl vom 19. Oktober 2011 auf. In den Gründen ihres Beschlusses führte die Beschwerdekammer aus, für die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung sei nicht das Amtsgericht Marl, sondern die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld zuständig.

Nach der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 14. Dezember 2010 wurde der Verurteilte am 3. Januar 2012 aus der JVA Bielefeld-Senne entlassen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 9. Mai 2012 widerrief das Landgericht Bielefeld - Strafvollstreckungskammer - die durch das Urteil vom 20. März 2009 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung unter Hinweis auf die erneute Verurteilung vom 14. Dezember 2010. Gegen den Widerruf wendet sich der Verurteilte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel des Verurteilten hat (vorläufig) Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Widerrufsbeschlusses vom 9. Mai 2012, weil die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld für dessen Erlass örtlich nicht zuständig war.

1. Für die Bewährungsaufsicht und die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 20. März 2009 bezogen, war seit dem Beginn der Bewährungszeit nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund sachlich und örtlich zuständig, weil sich der Verurteilte zum Zeitpunkt des Eintrittes der Rechtskraft des vorbezeichneten Urteils - und damit zum Zeitpunkt des Beginns der Bewährungszeit - zum Zwecke der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe in der im Landgerichtsbezirk Dortmund gelegenen JVA Castrop-Rauxel befand. Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer trat mit dem Beginn der Bewährungszeit und unabhängig davon ein, ob während der Zeit der Inhaftierung des Verurteilten eine konkrete Entscheidung in einer Strafvollstreckungssache zu treffen war (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Februar 2012 - 3 (s) Sbd. I - 1/12 -, BeckRS 2012, 07382 m.w.N.), und entfiel auch nicht durch die Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft am 20. April 2009 (vgl. Senat, a.a.O.).

2. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund als das für die Bewährungsaufsicht zuständige Gericht war dann auch spätestens seit dem 11. Juni 2011 - an diesem Tage gelangte die Mitteilung des Bundesamtes für Justiz über den Eintritt der Rechtskraft der erneuten Verurteilung vom 14. Dezember 2010 zum Bewährungsheft - im Sinne des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO mit der Frage des Widerrufes der Strafaussetzung zur Bewährung befasst. Dass sich das Bewährungsheft zum damaligen Zeitpunkt nicht bei der (zuständigen) Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund befand, sondern bei dem - unzuständigen - Amtsgericht Marl, ist für das "Befasstsein" der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund unschädlich (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 2 ARs 441/10 - ≪[...]≫; Senat,...

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