Entscheidungsstichwort (Thema)
Sicherungsverwahrung. vollzugsöffnende Maßnahmen. gebundene Entscheidung
Leitsatz (amtlich)
Bei § 53 Abs. 2 SVVollzG NW handelt es sich schon seinem Wortlaut nach um eine Vorschrift des zwingenden Rechts und nicht um eine Ermessensvorschrift ("werden ... gewährt"). Vollzugsöffnende Maßnahmen sind danach zu gewähren, es sei denn, es stehen zwingende Gründe entgegen.
Normenkette
SVVollzG NW § 53 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Aktenzeichen IV-2 StVK 86/15) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Arnsberg zurückverwiesen.
Gründe
I.
Nach den Feststellungen im angefochtenen Beschluss hat die Justizvollzugsanstalt X einen Antrag des Betroffenen, der sich dort im Vollzug der Sicherungsverwahrung befindet, auf Gewährung von unbegleitetem Ausgang, mit Bescheid vom 28.04.2015 zurückgewiesen. Maßgebend dabei war, dass nach Auffassung der Justizvollzugsanstalt der Betroffene keine konkrete Entlassungsperspektive habe und deswegen bei einer unkontrollierten vollzugsöffnenden Maßnahme die Gefahr bestehe, dass der Betroffene “sich selbst entlasse„, auch wenn man nicht ausschließen könne, dass der Betroffene mit einer solchen Lockerung anfangs korrekt umginge.
Den gegen diesen Bescheid gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer zurückgewiesen. Sie führt - ausgehend von § 53 Abs. 2 SVVollzG NW - dazu aus, dass der Gefangene keinen Rechtsanspruch auf Vollzugslockerungen habe. Der Anstalt stehe bei der Prognose der Missbrauchsgefahr ein Beurteilungsspielraum zu. Dieser sei eingehalten worden, wenn die Anstalt - wie im gerichtlichen Verfahren geschehen - sich (u.a.) darauf stütze, dass die Gefahr bestünde, dass der Betroffene, der sich für entlassungsreif halte, darin bestärkt werde, Behandlungsangebote nicht anzunehmen, weil er durch eine weitere Lockerungsgewährung in seiner Auffassung bestärkt werde.
Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er - jedenfalls der Sache nach - eine Verletzung materiellen Rechts geltend macht.
Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde in Ermangelung eines Zulassungsgrundes als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 116 StVollzG) zuzulassen. Die an mehreren Stellen in der angefochtenen Entscheidung auftauchende Formulierung, dass der Betroffene keinen Rechtsanspruch auf Vollzugslockerungen habe, lässt besorgen, dass die Strafvollstreckungskammer den Gehalt des § 53 Abs. 2 SVVollzG NW als im Grundsatz bindende Entscheidung (vgl.: OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.2014 - III - 1 Voll(Ws) 367/14 - juris; OLG Hamm, Beschl. v. 07.10.2014 - III - 1 Vollz(Ws) 451/14) nicht nur in diesem Einzelfall, sondern grundlegend verkannt hat. Durch eine Fortsetzung dieser Rechtsprechung käme es zu einer Gefährdung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung.
III.
Die - auch im Übrigen zulässige - Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache (§ 119 Abs. 4 S. 1 und 3 StVollzG).
Bei § 53 Abs. 2 SVVollzG NW handelt es sich schon seinem Wortlaut nach um eine Vorschrift des zwingenden Rechts und nicht - wie die Strafvollstreckungskammer meint - um eine Ermessensvorschrift ("werden ... gewährt"). Vollzugsöffnende Maßnahmen sind danach zu gewähren, es sei denn, es stehen zwingende Gründe entgegen (OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.2014 - III-1 Vollz (Ws) 367/14 - juris; a.A. für die vergleichbar formulierte Vorschrift in Art. 54 Abs. 2 BaySVVollzG: OLG Nürnberg, Beschl. v. 11.08.2015 - 1 Ws 224/15 - juris).
Im angefochtenen Beschluss wird aus den o.g. Gründen (s. II.) verkannt, dass es sich bei § 53 Abs. 2 SVVollzG NW um eine Vorschrift des zwingenden Rechts handelt und er enthält keine hinreichenden Ausführungen dazu, welche konkreten Anhaltspunkte bestehen könnten, die einer Gewährung der beantragten Lockerung entgegenstünden.
Im Senatsbeschluss vom 30.09.2014 (III - 1 Vollz(Ws) 367/14 - juris) hat der Senat u.a. ausgeführt:
“Bei der Beurteilung, ob zwingende Gründe entgegenstehen, steht der Vollzugseinrichtung ein Beurteilungsspielraum auf Tatbestandsseite zu, da es sich insoweit um eine Prognoseentscheidung handelt (LT-Drs. 16/1425 S. 100 f.). Die zwingenden entgegenstehenden Gründe müssen auf "konkreten Anhaltspunkten" beruhen. Dieser Maßstab, der nach dem Gesetzeswortlaut nur für die Flucht- oder Missbrauchsgefahr gilt, findet auch auf andere zwingende Gründe (wie etwa die Gefährdung des Vollzugsziels, s.o.) Anwendung, da ersichtlich bei anderen Versagungsgründen kein geringerer Maßstab gelten sollte, denn der Gesetzgeber wollte die Versagung von Lockerungen nur aufgrund von pauschalen Wertungen verhindern (LT-Drs. 16/1425 S. 101). Er folgt damit den Maßgabe...