Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßregelvollzug: Voraussetzungen für die medizinische Zwangsbehandlung zur Erreichung der Entlassfähigkeit.
Leitsatz (amtlich)
1. § 17a Abs. 2 MRVG NRW ermöglicht im nordrhein-westfälischen Maßregelvollzug grundsätzlich auch die medizinische Zwangsbehandlung mit potentiell persönlichkeitsverändernden Substanzen wie Neuroleptika, die auf die Erreichung der Entlassfähigkeit des Untergebrachten gerichtet ist.
2. Es ist nach Auffassung des Senats nicht verfassungswidrig im Sinne des § Art. 100 Abs. 1 GG, dass § 17a Abs. 3 S. 1 MRVG NRW für die auf § 17a Abs. 2 MRVG NRW gestützte erstmalige Zwangsbehandlung lediglich eine fachärztliche Anordnung und - anders als bei der Fortsetzung dieser Behandlung (§ 17a Abs. 6 S. 2, S. 3 MRVG NRW) - nicht zusätzlich ein positives Votum einer unabhängigen und vom Landesbeauftragten für den Maßregelvollzug auszuwählenden Fachärztin bzw. eines unabhängigen Facharztes erfordert.
3. Auch § 17a Abs. 4 S. 1 MRVG NRW, mit dem für Zwangsbehandlungen gemäß § 17a Abs. 2 MRVG NRW der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug zur nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur Beschluss vom 23.03.2011 - 2 BvR 882/09 -, juris) bei einer medizinischen Zwangsbehandlung zu beteiligenden neutralen Stelle bestimmt worden ist, ist nach Auffassung des Senats nicht verfassungswidrig.
4. Allein die Feststellung, dass ein Betroffener störungsbedingt nicht in der Lage sei, die Einsicht in seine Behandlungsbedürftigkeit zu entwickeln, obwohl über mehrere Jahre im Maßregelvollzug in verschiedenen Konstellationen und in mehreren Kliniken versucht worden sei, diese Einsicht zu wecken, genügt nicht den sich aus § 17a Abs. 2 Nr. 2 MRVG NRW ergebenden Anforderungen daran, dass dem Betroffenen vor der Ankündigung der Zwangsbehandlung (§ 17a Abs. 5 MRVG NRW) nach Möglichkeit das Ob und Wie der konkret beabsichtigten Behandlung und ihrer Wirkungen zu erläutern sowie zu versuchen ist, insofern seine Zustimmung zu erreichen, und dass im Falle eines gerichtlichen Verfahrens konkrete Feststellungen zu diesen Überzeugungsversuchen durch die Einrichtung und zu dem entsprechenden Zeitaufwand erforderlich sind.
Normenkette
GG Art. 100 Abs. 1; MRVG NRW § 17a
Verfahrensgang
LG Paderborn (Aktenzeichen 13 StVK 2/18) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.
Gründe
I.
Gegen den bereits zuvor mehrfach geschlossen stationär untergebrachten bzw. insbesondere wegen verschiedener Gewaltstraftaten inhaftierten Betroffenen wurde durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 04.12.2013 unter anderem wegen einer im Juni 2013 gewaltsam und unter Einsatz einer Gaspistole erfolgten Flucht während eines stationären Klinikaufenthaltes die (erneute) Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Nach den damaligen Feststellungen leidet er - so die Darstellung im vorliegend angefochtenen Beschluss - an einer "paranoiden Schizophrenie, episodisch, mit zunehmendem Residuum, einer Störung durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen sowie einer kombinierten Persönlichkeitsstörung".
Mit Verfügung vom 21.12.2017 gestattete der Landesbeauftragte für den Maßregelvollzug Nordrhein-Westfalen auf dessen Antrag dem LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie M, in dem die vorgenannte Maßregel seit dem 29.12.2015 vollzogen wird, den Betroffenen für die Dauer von drei Monaten mit dem Neuroleptikum Olanzapin (Zypadhera) 405 mg einschließlich der erforderlichen Begleitdiagnostik auch gegen dessen natürlichen Willen zwangsweise zu behandeln. Mit Schreiben vom 02.01.2018 kündigte daraufhin die Antragsgegnerin dem Betroffenen bzw. seinem Verfahrensbevollmächtigten den Beginn der Zwangsbehandlung binnen zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens an, gegen die er mit anwaltlichen Schriftsatz vom 19.01.2018 eine gerichtliche Entscheidung sowie die - am 23.01.2018 von der Strafvollstreckungskammer bis zur Entscheidung in der Hauptsache angeordnete - Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Maßnahme beantragt hat.
Diesen Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 23.04.2018 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer zusammengefasst ausgeführt, dass die von der Klinik beabsichtigte Zwangsmedikation gemäß § 17a MRVG NRW formell und materiell rechtmäßig angeordnet worden sei.
Insbesondere sei eine Zwangsmedikation nach § 17a Abs. 2 MRVG NRW auch zur Erreichung der Entlassfähigkeit von Untergebrachten zulässig und habe die Antragsgegnerin nachvollziehbar dargelegt, dass diese Entlassfähigkeit des Betroffenen nur durch eine weiterführende Psychotherapie und flankierende Lockerungsmaßnahmen hergestellt werden könne, die ohne die fragliche Medikation nicht zu erreichen sei....