Leitsatz (amtlich)
I. Den Erben trifft bei der Aufnahme eines Inventars eine Erkundigungsobliegenheit nur insoweit, als er konkrete Anhaltspunkte für weitere Nachlassgegenstände hat, und die in Betracht kommenden Ermittlungen nach Umfang, Erfolgsaussichten und Kosten zumutbar sind.
II. Nur vage Anhaltspunkte dafür, dass es weiteres zum Nachlass gehörendes Vermögen gibt, begründen keine Ermittlungsobliegenheit und sind daher auch kein Grund für eine Verlängerung der Inventarfrist.
III. Das Nachlassgericht muss im Rahmen seiner prozessualen Fürsorgepflicht auf einen zweckgerechten Interessenausgleich hinwirken. Dies kann es auch gebieten, im Rahmen des durch § 1995 Abs. 3 BGB eröffneten Ermessens, erkennbar falsche Vorstellungen des Erben hinsichtlich seiner Ermittlungsobliegenheiten aufzuklären und ihm -ggf. auch durch Bewilligung einer "Nachfrist"- Gelegenheit zur fristgerechten Errichtung des Inventars zu geben.
Normenkette
BGB §§ 1994-1995, 2006
Verfahrensgang
LG Essen (Beschluss vom 01.12.2009; Aktenzeichen 7 T 460/08) |
AG Hattingen (Beschluss vom 07.08.2008; Aktenzeichen 13 VI 94/08) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, der Beschluss des AG Hattingen vom 7.8.2008 abgeändert.
Die dem Beteiligten zu 1) gesetzte Inventarfrist wird auf einen Monat ab Zustellung der vorliegenden Entscheidung des Senats verlängert.
Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet in allen Instanzen nicht statt.
Der Gegenstandswert des Verfahrens dritter Instanz beträgt 4.000 EUR.
Gründe
I.) Der Beteiligte zu 2) hat durch Schriftsatz vom 2.4.2008 beantragt, dem Beteiligten zu 1) eine Frist zur Errichtung des Inventars über den Nachlass des Erblassers zu setzen. Das AG hat dem Beteiligten zu 1) hierzu durch Beschluss vom 11.4.2008 eine Frist von einem Monat gesetzt, ohne ihn zuvor zu dem Antrag anzuhören.
Der Beteiligte zu 1) ist ein nichtehelicher Sohn des Erblassers, der zu diesem kaum Kontakt hatte. Die Stellung als Alleinerbe ist ihm dadurch zugefallen, dass die Ehefrau des Erblassers und dessen eheliche Kinder die Erbschaft ausgeschlagen haben.
Mit Schriftsatz vom 25.4.2008 ließ der Beteiligte die Verlängerung der Inventarfrist beantragen. Zur Begründung machte er geltend, dass der Erblasser an mehreren Firmen beteiligt gewesen sei. Die Geschäftsunterlagen seien jedoch von den Töchtern des Erblassers (vor der Erbausschlagung) aus den geschäftlichen und privaten Räumen des Erblassers entfernt worden. Herausgabe- und Auskunftsverlangen seien bislang ohne Antwort geblieben. Mit Beschluss vom 6.5.2008 verlängerte das AG die Inventarfrist um zwei Monate.
Am 10.7.2008 beantragte der Beteiligte abermals eine Verlängerung der Inventarfrist um zwei Monate. Zur Begründung wurde auf eine "Auslandsberührung" des Nachlasses und die deshalb erforderlichen, umfangreichen Nachforschungen verwiesen. Das AG leitete den Antrag der Gegenseite zu und forderte zugleich die Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1) zu einer weiteren Begründung des Antrags auf, da die Auslandsberührung dem Beteiligten zu 1) bereits bei der Annahme der Erbschaft bekannt gewesen sei. Nachdem weiterer Sachvortrag seitens des Beteiligten zu 1) nicht erfolgte, wies das AG den Antrag durch Beschluss vom 7.8.2008 zurück. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist bereits abgelaufen.
Die gegen den amtsgerichtlichen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde vom 19.8.2008, mit der erstmals eine "vorläufige Nachlassübersicht" vorgelegt wurde, hat das LG durch Beschluss vom 1.12.2009 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit der sofortigen weiteren Beschwerde.
II.) Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29, 77 Abs. 2 FGG i.V.m. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG statthaft und form- und fristgerecht erhoben. Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 1) ergibt sich daraus, dass seine Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.
In der Sache hat die sofortige weitere Beschwerde Erfolg, da die Entscheidung des LG auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs. 1 FGG. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das LG zutreffend von einer zulässigen sofortigen Beschwerde des Beteiligten zu 1) ausgegangen. In sachlicher Hinsicht hält die Entscheidung des LG der rechtlichen Prüfung hingegen nicht stand.
Die nach § 1995 Abs. 3 BGB zu treffende Entscheidung über die Verlängerung der Inventarfrist ist, wie sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, eine Ermessensentscheidung. Diese obliegt im Grundsatz dem Nachlassgericht bzw. dem an seine Stelle tretenden Erstbeschwerdegericht. Der Senat als Rechtsbeschwerdegericht kann eine Ermessensentscheidung des Tatrichters nur darauf überprüfen, ob dieser sein Ermessen überhaupt ausgeübt hat, hierbei von zutreffenden Maßstäben für die Ermessensausübung ausgegangen ist und alle insoweit relevanten Tatsachen berücksichtigt hat. Vorliegend hat das LG jedenfalls nicht alle relevanten Umstände berücksichtigt.
Die Kammer hat wesentlich darauf abgestellt, dass die von dem Beteiligten zu 1) angenommene Notwendigkeit umfangreicher Ermittlu...