Leitsatz (amtlich)
1. Zur Notwehr gegen Akte der öffentlichen Gewalt (im Rahmen der Identitätsfeststellung).
2. Eine getilgte Vorstrafe darf auch als Indiz im Rahmen der Beweiswürdigung nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden.
3. Auch wenn die Anwendung einer bloßen Verwarnung mit Strafvorbehalt nicht nahe liegt, muss der Erörterungspflicht des § 267 Abs. 3 S. 4 StPO genügt werden.
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 3a Ns 17/08) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte am Abend des 14.03.2007 in der T-Straße in C zwei Kinder am Hals gefasst und leicht zugedrückt. Wegen dieses Vorfalls wurden die Polizeibeamten G und N gerufen. Als sie vor dem Haus T-Str. 4 eintrafen, wurden sie von den Kindern und der Mutter des einen und dem Vater des anderen Kindes erwartet. Diese schilderten den Sachverhalt und benannten den Angeklagten als den Täter. Der Vater des einen Kindes, der Zeuge U, hatte früher im gleichen Haus wie der Angeklagte gewohnt und mit diesem zusammen gelegentlich "ein Bier" getrunken und verkehrt auch noch aktuell fast täglich in dem Haus, in dem der Angeklagte wohnt, um seinen Sohn zu besuchen. Mit den genannten Personen begaben sich die Polizeibeamten zur Wohnung des Angeklagten im Hause T-Str. 2, 2. Obergeschoss. Als der leicht alkoholisierte Angeklagte die Türe öffnete, war er sehr aufgebracht. Die Polizeibeamten versuchten zunächst beruhigend auf ihn einzuwirken und teilten ihm mit, dass gegen ihn wegen Körperverletzung zum Nachteil der Kinder Anzeige erstattet würde. "Zu diesem Zwecke sei die Angabe seiner Personalien unter Vorlage des Personalausweises erforderlich". Als der Angeklagte sich weigerte, seinen Ausweis auszuhändigen, erklärte der Zeuge G, dass er nunmehr nach Ausweispapieren durchsucht würde und wollte ihn am Arm ergreifen. Der Angeklagte schlug daraufhin mit der Faust gegen den Kopf des G, welcher eine Schädelprellung erlitt und am Tattag unter Kopfschmerzen und Übelkeit litt. Die Strafverfolgung wegen dieser Tat war bereits in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht gem. § 154a StPO auf den Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung beschränkt worden. Die Tat zum Nachteil der Kinder ist nach § 154 StPO vorläufig eingestellt worden.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision und erhebt die Sachrüge sowie eine Verfahrensrüge.
II.
Die Revision hat bereits aufgrund der Sachrüge Erfolg.
1.
Das angefochtene Urteil weist hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der von den Polizeibeamten versuchten Durchsuchung einen durchgreifenden Erörterungsmangel auf, der es dem Revisionsgericht verwehrt, abschließend zu überprüfen, ob das Verhalten des Angeklagten etwa durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt war oder nicht.
Bei der sachlich-rechtlichen Prüfung, ob ein Erörterungsmangel vorliegt, ist allein die Urteilsurkunde Beurteilungsgrundlage (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 174, 175; BGH NStZ-RR 2006, 50). Ein Erörterungsmangel ist dann gegeben - dies lässt sich als Ergebnis der Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung entnehmen -, wenn im Hinblick auf die Umstände des Falles die Erörterung einer bestimmten Problematik zu erwarten gewesen wäre (BGH NStZ 2001, 475, 476), nahe gelegen hätte (BGH NStZ 2001, 591, 592 f.) bzw. sich aufgedrängt hätte (BGH NStZ-RR 2006, 50), diese aber nicht vorgenommen wurde (OLG Hamm Urt. v. 22.04.2008 - 3 Ss 106/08 = BeckRS 2008, 10005).
Die Erörterung einer möglicherweise gegebenen Rechtfertigung des Verhaltens des Angeklagten nach § 32 StGB hätte sich hier aufgedrängt, da auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen Zweifel daran bestehen, ob die von den Polizeibeamten beabsichtigte Durchsuchung unter Festhalten des Angeklagten rechtmäßig war. War sie nicht rechtmäßig, was sich aufgrund der Urteilsfeststellungen aber nicht abschließend entscheiden lässt, könnte das Festhalten des Angeklagten oder eine Gewaltanwendung gegen ihn zum Zwecke der Durchsuchung einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff i.S.d. § 32 StGB darstellen.
Unter Zugrundelegung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs (der nicht nur für § 113 Abs. 3 StGB sondern auch im Rahmen des § 32 StGB bei Abwehr von Akten der öffentlichen Gewalt von Bedeutung ist, vgl. Rönnau/Hohn in LK-StGB 12. Aufl. § 32 Rdn. 117) ist eine Diensthandlung dann rechtmäßig, wenn die sachliche und örtliche Zuständigkeit sowie die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten wurden. Zudem trägt der handelnde Organwalter die Pflicht, zur situationsangemessenen Beurteilung erkennbarer Eingriffsvoraussetzungen sowie im Falle eines durch die Eingriffsnorm eröffneten Ermessens zu einem adäquaten Ermes...