Leitsatz (amtlich)
StPO§§ 163b, 127,112 StGB § 113
1.
Im Rahmen einer Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte müssen die Urteilsgründe die Diensthandlung, gegen die der Angeklagte Widerstand geleistet hat, nicht nur ihrer Art nach angeben, sondern auch Feststellungen zum Zweck, zur Ausführung und zu den Begleitumständen treffen.
2.
Kommt der Angeklagte anlässlich einer allgemeinen Verkehrskontrolle der Aufforderung sich auszuweisen nicht nach und soll er deshalb gegen seinen Willen zur Feststellung seiner Identität auf die Dienststelle gebracht werden, so müssen die Urteilsfeststellungen angeben, ob das Verbringen, gegen das er Widerstand leistet, aufgrund einer vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 i.V.m. § 112 StPO oder im Rahmen der Durchsetzung des Festhalterechts nach § 127 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO erfolgte, weil die Eingriffsvoraussetzungen unterschiedlich sind.
Normenkette
StPO § 163b; StGB § 113
Verfahrensgang
AG Kempten (Entscheidung vom 14.07.2008) |
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 14. Juli 2008 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) auch zur Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht erließ gegen den Angeklagten Strafbefehl wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Beleidigung sachlich zusammentreffend mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte rechtlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Körperverletzung und verhängte eine Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 30 EUR. Auf den Einspruch des Angeklagten, der auf die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtlich zusammentreffend mit vorsätzlicher Körperverletzung beschränkt wurde, verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen wegen Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 30 EUR. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Die zulässige Revision hat mit der allgemeinen Sachrüge zumindest vorläufigen Erfolg.
1.
Aufgrund der Sachrüge prüft das Revisionsgericht - und zwar ausschließlich anhand der Urteilsurkunde -, ob das Recht auf den festgestellten Sachverhalt richtig angewendet wurde und die Urteilsfeststellungen eine tragfähige Grundlage für diese Prüfung bieten, insbesondere, ob sie frei von Lücken, Widersprüchen und Verstößen gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze sind (Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 337 Rn. 21). Enthalten die Urteilsgründe keine Beweisgründe oder keine Beweiswürdigung, so ist das Urteil aufzuheben (BGH NStZ-RR 1999, 45; BayObLG Beschluss vom 16.10.2003 Az. 5St RR 282/03 zitiert nach [...], Rn. 6; OLG Hamm Beschluss vom 22.8.2006 Az. 3 Ss 309/06 zitiert nach [...], Rn. 5).
In den Urteilsgründen wird weder die Einlassung des Angeklagten wiedergegeben noch diese unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise gewürdigt.
Auch wurden keine Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten gemäß §§ 20, 21 StGB getroffen, obwohl sich dies aufgedrängt hat. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass einer der Polizeibeamten aufgrund des Verhaltens des Angeklagten den Verdacht hatte, der Angeklagte könnte unter Drogeneinfluss gestanden haben (AU S.3). Obwohl dies bei positivem Nachweis Einfluss auf die Schuldfähigkeit gehabt haben könnte, fehlen jegliche Feststellungen dazu, ob eine entsprechende Blutentnahme, gegebenenfalls mit welchem Ergebnis, durchgeführt wurde und welche Folgerungen sich hieraus im Weiteren für die Schuldfähigkeit ergeben.
Wegen der aufgezeigten Mängel war das Urteil aufzuheben und an einen anderen Strafrichter des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) zurückzuverweisen (§§ 337, 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
2.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Nach den Urteilsfeststellungen kommen zwei Widerstandshandlungen - zum einen das Sich-zur-Wehr-setzen gegen die Durchsuchung zur Feststellung der Identität sowie zum anderen die Gegenwehr gegen die vorläufige Festnahme - gegen verschiedene polizeiliche Maßnahmen in Betracht.
Gemäß § 113 Abs. 3 StGB ist der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nur dann strafbar, wenn die zugrundeliegende Diensthandlung formell rechtmäßig war. Dies ist der Fall, wenn für die Vollstreckungshandlung eine gesetzliche Eingriffsgrundlage gegeben ist, der Vollstreckungsbeamte sachlich und örtlich zuständig war und er die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten sowie ein eventuelles Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat (Fischer StGB 55. Aufl. § 113 Rn. 11 ff m.w.N.).
Die Eingriffsgrundlage kann sich aus strafprozessualen Vorschriften oder aus Regeln der Gefahrenabwehr ergeben. Um die rechtliche Einordnung nachvollziehbar zu machen, ist es erforderlich, dass die Urteilsfeststellung...