Leitsatz (amtlich)

1. Der Einwand der Verwirkung des Unterhaltsanspruchs gem. § 1611 BGB steht dem Auskunftsanspruch regelmäßig nicht entgegen, da die Beurteilung, ob und in welchem Umfang der Unterhaltsanspruch verwirkt ist, sich ohne Kenntnis der maßgeblichen Einkünfte nicht beurteilen lässt und sachgerecht hierrüber erst befunden werden kann, wenn die Höhe des Unterhaltsanspruchs festgestellt ist.

2. Eine Verwirkung des Anspruchs auf rückständigen Elternunterhalt kommt nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 242 BGB in Betracht, wenn der Berechtigte den Anspruch längere Zeit nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment), obwohl er dazu in der Lage wäre, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Umstandsmoment).

 

Normenkette

BGB §§ 242, 1601, 1605, 1611; SGB XII § 94 III 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Siegen (Aktenzeichen 15 F 543/22)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der am 04.08.2022 verkündete Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Siegen abgeändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, Auskunft zu erteilen, durch die Vorlage einer schriftlichen systematischen Aufstellung

a) über sein gesamtes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in der Zeit vom 01.01.2018 bis 31.12.2021 und durch Vorlage entsprechender Unterlagen die Auskunft zu belegen.

Die Belegpflicht umfasst,

  • die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit unter Vorlage

    • der Bilanzen 2018, 2019, 2020 und 2021 nebst Gewinn- und Verlustrechnungen, bzw. der Einnahmen-/Überschussrechnungen
    • Steuererklärungen 2018, 2019, 2020 und 2021
    • Steuerbescheide 2018, 2019, 2020 und 2021
  • Einkünfte aus Beteiligungen unter Vorlage der Jahresabschlüsse sowie der jeweiligen Feststellungsbescheide 2018, 2019, 2020 und 2021

b) über sein gesamtes sonstiges Einkommen in der Zeit vom 01.01.2018 bis 31.12.2021 und durch die Vorlage entsprechender Unterlagen die Auskunft zu belegen.

Die Belegpflicht umfasst,

das monatliche Bruttoeinkommen aus unselbständiger Tätigkeit einschließlich aller einmaliger Leistungen, Spesen, Sachbezüge unter Vorlage der Gehaltsabrechnungen

  • Einkünfte aus Steuererstattungen unter Vorlage der Steuererklärungen sowie der Steuerbescheide,
  • Einkünfte aus Kapitalvermögen unter Vorlage der Bankbescheinigungen, insbesondere aus Aktienfonds, Sparvermögen etc.
  • Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unter Vorlage der Mietverträge
  • sowie alle sonstigen Einkünfte.

Im Übrigen wird der angegriffene Beschluss aufgehoben und hinsichtlich der weiteren Stufenanträge zu erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die am 00.00.1953 geborene Mutter des Antragsgegners zog im Jahre 2017 in das Pflegeheim der U. GmbH in A., dessen teilweise ungedeckten Kosten seit dem 01.02.2017 nach Darstellung des Antragstellers von ihm getragen werden.

Eine Rechtswahrungsanzeige mit Auskunftsverlangen seitens des Antragstellers erfolgte gegenüber dem Antragsgegner jedenfalls im Mai 2017. Der Antragsgegner lehnte eine Auskunft unter Hinweis auf § 1611 BGB ab. Einem erneuten Auskunftsverlangen im Februar 2018 widersprach er.

Mit Schreiben vom 02.05.2018 bezifferte der Antragsteller sein Unterhaltsverlangen, nachdem er über das Finanzamt die zu versteuernden Einkünfte des Antragsgegners ermittelt hatte. Aus den Steuerunterlagen ermittelte der Antragsteller einen Unterhaltsanspruch der Mutter i.H.v. monatlich 10.114,00 EUR, da die Mutter aber nur Hilfe zur Pflege in einer Einrichtung i.H.v. 1.917,15 EUR erhalte, sei dieser Betrag maximal zu leisten. Für den Zeitraum vom 01.04.2017 bis zum 31.05.2018 forderte der Antragsteller eine Nachzahlung i.H.v. 25.858,77 EUR.

Der Antragsgegner, der zu dieser Zeit in K. wohnte, lehnte eine Zahlung unter Hinweis auf eine unzulässige Nutzung der Finanzamtsdaten noch im gleichen Monat ab. Eine weitere Korrespondenz erfolgte nachfolgend nicht.

Mit am 31.12.2021 um 23:06 Uhr eingegangener Antragschrift erhob der Antragsteller vor dem Amtsgericht Hamm Auskunftsstufenantrag für den Zeitraum vom 01.01.2017 bis 31.12.2021. Nachdem die Antragschrift unter der früheren Adresse des Antragsgegners in K. am 12.01.2022 nicht zugestellt werden konnte, ermittelte das Familiengericht durch Anfrage beim Einwohnermeldeamt eine neue Anschrift in W. und versuchte die Antragschrift dort zuzustellen. Da der Antragsgegner zu diesem Zeitpunkt bereits nach L. verzogen war, berichtigte der zuständige Postbote am 19.01.2021 die Adresse, woraufhin die Zustellung am 20.01.2022 in L. erfolgte. Das Verfahren wurde dann auf Antrag beider Beteiligter an das Amtsgericht Siegen zuständigkeitshalber verwiesen.

Der Antragsteller hat die Ansicht vertreten, der geltend gemachte Auskunftsstufenantrag stehe ihm zu, auch wenn der Antragsgegner sich auf Verwirkung berufe.

Im Termin am 04.08.2022 hat der Antr...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?