Leitsatz (amtlich)
Der für Haftsachen geltende besondere Beschleunigungsgrundsatz gilt auch nach Beginn der Hauptverhandlung. Er erfordert dann eine effiziente Verhandlungsführung. Das Gericht ist gehalten Zeugen auf eine effiziente Art zu laden und einen straffen Verhandlungsplan festzulegen.
Verfahrensgang
LG Bochum (Entscheidung vom 08.12.2005) |
Tenor
Der Haftbefehl/Beschluss des Landgerichts Bochum vom 08. Dezember 2005 wird aufgehoben.
Gründe
I.
Gegen den Angeklagten, der chinesischer Staatsbürger ist, ist zur Zeit beim LG Bochum ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz anhängig. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 10. November 2004 legt dem Angeklagten und seinen sechs Mitangeklagten, die ebenfalls chinesische Staatsbürger sind, zur Last, in der Zeit von September 2003 bis zum 3. August 2004 in 24 Fällen gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande andere chinesische Staatsbürger, die über keine Ausweispapiere verfügten über die Bundesrepublik Deutschland u.a. nach Frankreich, Italien oder Großbritannien illegal eingeschleust bzw. ausgeschleust zu haben. Die Angeklagten waren an den 24 Fällen der Anklage in unterschiedlichem Umfang beteiligt.
Wegen dieser Vorwürfe hat das Amtsgericht Bochum am 21. Juli 2004 einen Haftbefehl u.a. auch gegen den Angeklagten erlassen. Der Angeklagte ist am 3. August 2004 festgenommen worden und befindet sich seitdem wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft. Der Angeklagte hat am 31. Oktober 2005 beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, weil ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK vorliege. Das Verfahren sei nach der Einlassung des Angeklagten am 29. Juni 2005 nicht ausreichend gefördert worden. Diesen Antrag hat die Strafkammer mit Beschluss vom 15. November 2005 zurückgewiesen. Sie hat weiterhin Fluchtgefahr bejaht und außerdem einen Verstoß gegen Art 5 Abs. 3 Satz 2 MRK verneint. Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft hätten erst am 30. September 2005 beantragt, den in Tschechien ansässigen Zeugen P. zu laden und zu vernehmen. Gegen die Entscheidung hat der Angeklagte am 1. Dezember 2005 Beschwerde eingelegt. Inzwischen hat die Strafkammer den Haftbefehl vom 21. Juli 2004 aufgehoben und zugleich am 8. Dezember 2005 einen neu gefassten Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen, in dem sie ihm nun noch die Beteiligung in zwei Fällen zur Last legt. Dieser Haftbefehl ist dem Angeklagten am 12. Dezember 2005 verkündet worden. Nach Verkündung des Haftbefehls hat der Verteidiger des Angeklagten erklärt, er nehme nochmals Bezug auf seinen Antrag vom 1. Dezember 2005. Die Strafkammer hat dies als Beschwerde gegen den Haftbefehl vom 8. Dezember 2005 angesehen, der sie aus den Gründen des Beschlusse vom 15. November 2005 nicht abgeholfen hat, und hat die Akten durch Vermittlung der Generalstaatsanwaltschaft dem Senat vorgelegt, bei dem sie am 3. Januar 2006 eingegangen sind.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt,
das Rechtsmittel zurückzuweisen.
II.
Die (Haft)Beschwerde ist zulässig. Es handelt sich, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, um eine Beschwerde gegen den Beschluss der Strafkammer vom 15. November 2005, durch den der Aufhebungsantrag des Angeklagten vom 31. Oktober 2005 zurückgewiesen worden ist.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Beschluss/Haftbefehl des Landgerichts Bochum vom 8. Dezember 2005 war aufzuheben. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft ist im Hinblick auf deren bisherige Dauer und die mangelnde Förderung des Verfahrens durch die Strafkammer nicht mehr verhältnismäßig (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; vgl. auch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2005 in 2 BvR 1964/05).
1.
Für die Entscheidung des Senats ist folgender Verfahrensgang und - ablauf von Bedeutung:
Der Angeklagte ist am 3. August 2004 festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. In der Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 10. November 2004 werden dem Angeklagten insgesamt 24 Fälle des Verstoßes gegen das Ausländergesetz zur Last gelegt. Im Fall 4 der Anklage (Fallakte 1) geht es um die illegale Einschleusung von 26 chinesischen Staatsangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland mit Hilfe des Fahrers des Sattelzuges, des Zeugen P.. Dieser ist in der Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum als Zeuge aufgeführt. Er befand sich zum Zeitpunkt der Anklageerhebung in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Dortmund. P. ist inzwischen durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 22. Juli 2004, das am selben Tag rechtskräftig geworden ist, wegen Einschleusens von Ausländern zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden. Gegen ihn ist nach § 456a Abs. 1 StPO verfahren worden. P. ist anschließend gemäß § 456a Abs. 2 StPO zur Festnahme ausgeschrieben worden.
Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und die Mitangeklagten hat am 2. Februar 2005 begonnen. Weitere Hauptverhandlungstage in dem gegen den Angeklagte anhängigen Verfahren waren der 8. Februar, 1., 4., 14., 15., 29. und 30. März...