Leitsatz (amtlich)

1. Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts über eine unerledigte weitere Haftbeschwerde ist nach einem Zuständigkeitswechsel in der Hauptsache durch Zuleitung der Akten an das Berufungsgericht nicht (mehr) veranlasst.

2. Dies gilt nicht nur dann, wenn sich der Beschwerdeführer aufgrund der angefochtenen Haftentscheidung in Untersuchungshaft befindet, sondern auch dann, wenn er sich in anderer Sache in Strafhaft befindet und aufgrund des Haftbefehls lediglich Überhaft notiert ist.

3. a) Im letztgenannten Fall kann die unerledigte weitere Haftbeschwerde zwar nicht als Haftprüfungsantrag im Sinne des § 117 Abs. 1 StPO behandelt werden, weil § 117 Abs. 1 StPO das (förmliche) Haftprüfungsverfahren nur dann eröffnet, wenn sich der Antragsteller tatsächlich in Untersuchungshaft befindet.

b) Die unerledigte weitere Haftbeschwerde ist dann aber als - durch § 117 Abs. 1 StPO nicht ausgeschlossener - "einfacher" Antrag an das Berufungsgericht auf Aufhebung des Haftbefehls zu behandeln (im Anschluss an OLG Karlsruhe, Die Justiz 1986, 144; 1989, 437).

 

Verfahrensgang

LG Bielefeld (Aktenzeichen 8 Qs 576/11)

 

Tenor

Eine Entscheidung des Senats ist nicht veranlasst.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde in der vorliegenden Sache am 14. Juli 2011 vorläufig festgenommen. Mit Haftbefehl vom 15. Juli 2011 ordnete das Amtsgericht Minden die Untersuchungshaft an. Der Angeklagte befand sich daraufhin zunächst bis zum 24. Juli 2011 in dieser Sache in Untersuchungshaft. Der Vollzug der Untersuchungshaft wurde sodann zum Zwecke der Strafvollstreckung in anderer Sache unterbrochen. Seit dem 25. Juli 2011 befindet sich der Angeklagte in anderer Sache in Strafhaft. Für das vorliegende Verfahren ist Überhaft vermerkt.

Am 4. November 2011 verurteilte das Amtsgericht Minden den Angeklagten in der vorliegenden Sache wegen versuchten Diebstahls und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten ohne Strafaussetzung zur Bewährung. Zugleich ordnete das Amtsgericht die Aufrechterhaltung des Haftbefehls vom 15. Juli 2011 an. Gegen seine Verurteilung legte der Angeklagte Berufung und gegen die Haftfortdauerentscheidung Beschwerde ein.

Die Haftbeschwerde verwarf das Landgericht Bielefeld mit Beschluss vom 15. November 2011 als unbegründet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner weiteren Haftbeschwerde vom 22. November 2011, der die Beschwerdekammer mit Beschluss vom 1. Dezember 2011 nicht abgeholfen hat.

Mit Verfügung vom 14. Dezember 2011 legte die Staatsanwaltschaft Bielefeld dem Landgericht Bielefeld die Erstakten nach § 321 StPO zur Durchführung des Berufungsverfahrens vor. Ein Termin zur Berufungshauptverhandlung ist auf den 19. Januar 2012 anberaumt.

II.

Eine Entscheidung des Senats über die weitere Haftbeschwerde ist nicht veranlasst.

Für den hier nicht vorliegenden Fall, dass sich der Angeklagte aufgrund der angegriffenen Haftentscheidung in Untersuchungshaft befindet, ist anerkannt, dass eine unerledigte weitere Haftbeschwerde nach Zuleitung der Akten an das Berufungsgericht als Haftprüfungsantrag im Sinne des § 117 Abs. 1 StPO, über den das Berufungsgericht zu befinden hat, zu behandeln ist (vgl. Senat, BeckRS 2007, 16973).

Befindet sich der Angeklagte - wie hier - nicht in Untersuchungshaft, sondern in anderer Sache in Strafhaft, und ist aufgrund des Haftbefehls lediglich Überhaft vermerkt, ist das (förmliche) Haftprüfungsverfahren nach dem Wortlaut des § 117 Abs. 1 StPO nicht eröffnet. In diesem Falle ist die unerledigte (weitere) Haftbeschwerde bei einem Zuständigkeitswechsel in der Hauptsache als - durch die Regelung in § 117 Abs. 1 StPO nicht ausgeschlossener - Antrag an das nunmehr nach § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständig gewordene Gericht - in der vorliegenden Sache das Landgericht Bielefeld als Berufungsgericht - auf Aufhebung des Haftbefehls nach § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO zu behandeln (vgl. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1986, 144; 1989, 437; siehe auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. Dezember 1976 - 3 Ws 411/76 -, Rdnr. 24 ≪juris≫; Schultheis in: KK-StPO, 6. Aufl. [2008], § 126 Rdnr. 8). Dies folgt aus dem der Regelung des § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zugrundeliegenden Gedanken, dass die sachgerechteste Haftentscheidung von dem jeweils mit der Hauptsache befassten Gericht zu erwarten ist (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.). Dieses Gericht soll demnach zunächst über das die Haftfrage betreffende Begehren des Angeklagten entscheiden, erst gegen diese Entscheidung ist dann die Beschwerde eröffnet (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Eine Kostenentscheidung durch den Senat ist nicht veranlasst.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2938575

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