Entscheidungsstichwort (Thema)
Betäubungsmittel. Marihuana. Schätzung. Menge. Wirkstoffgehalt
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Anforderungen bei Schätzung von Rauschgiftmengen und deren Wirkstoffgehalt.
2. Die bloße Angabe, für den Transport von Marihuana genutzte Behältnisse (hier: Koffer) hätten den Kofferraum eines bestimmten Pkw "fast gänzlich ausgefüllt", ist zumal bei Fehlen weiterer Angaben zum Ausmaß der Verdichtung des Pflanzenmaterials als hinreichend zuverlässige Schätzungsgrundlage für die Bestimmung größerer Rauschgiftmengen (hier: 5 kg) nicht genügend.
3. Die Begründung, in einem Gerichtsbezirk gehandeltes Marihuana habe im Tatzeitraum nach den Erfahrungen der Strafkammer in aller Regel einen bestimmten Wirkstoffgehalt überschritten (hier: 10 %), ist als Schätzungsgrundlage für den konkreten Wirkstoffgehalt nicht geeignet, wenn nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Art und Weise dargelegt ist, worauf die entsprechenden Erfahrungen der Strafkammer beruhen.
Normenkette
StGB § 46; BtMG § 29 Abs. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 47 Ns 38/15) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Dortmund - Schöffengericht - hat die Angeklagten am 19. Februar 2015 von dem Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Marihuana) in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freigesprochen. Auf die umfassende Berufung der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 20. Februar 2015 hat das Landgericht Dortmund durch Urteil vom 9. Juli 2015 das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und die beiden Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten L zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die Angeklagte y zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafen jeweils zur Bewährung ausgesetzt.
Zur Sache hat das Landgericht Dortmund folgende Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte L war Eigentümer eines Mercedes 350 CLS mit dem amtlichen Kennzeichen ###. Am 05. April 2012 verlieh er dieses Fahrzeug an einen Bekannten, den gesondert verfolgten und mittlerweile verurteilten F.
Am Morgen des 06.04.2012, Karfreitag, stand das Fahrzeug - wie vereinbart - wieder vor dem Haus I-Weg in E, in dem die Angeklagte y ihre Wohnung hat und damals mit dem Angeklagten L zusammen lebte. Als die Angeklagten zu dem Fahrzeug kamen und es öffneten, fanden sie in dem Kofferraum zwei große schwarze Koffer vor, die den Kofferraum fast gänzlich ausfüllten. Sie öffneten zunächst einen der Koffer. Der Koffer war vollständig mit Plastiktüten gefüllt. Die Angeklagte y öffnete eine der Plastiktüten, in der sie Marihuana fanden. Der Rest dieses Koffers war mit gleichartigen Tüten gefüllt. Nunmehr entschlossen sie sich, auch den zweiten Koffer zu öffnen. Auch dieser war vollständig mit Plastiktüten mit Marihuana gefüllt. Die Angeklagten gingen davon aus, dass es sich um mehrere Kilogramm Marihuana handelte.
Die Angeklagten verschlossen die Koffer nunmehr wieder und begaben sich in die Wohnung der Zeugin y. Sie wussten, dass der gesondert verfolgte F ohne Erlaubnis mit Betäubungsmitteln handelte und auch der Inhalt der Koffer, mindestens 5 Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10% THC, zum Verkauf vorgesehen war. In Kenntnis dieses Umstandes verständigten sie sich dahin, dass der Angeklagte L den F anrufen und auffordern sollte, die Koffer abzuholen. Der F kam aufgrund des Anrufs einige Zeit später, eine genaue Zeitspanne hat nicht festgestellt werden können, und holte die beiden Koffer ab.
Am Mittwoch der darauf folgenden Woche, dem 11. April 2012, wurde ein Mittäter des F in Süddeutschland mit Marihuana aufgegriffen.
Nachdem die Angeklagten im August 2013 Angaben zu dem mittlerweile schon bekannten Rauschgiftgeschäft gemacht hatten, kamen sie für einen Zeitraum von etwa drei Monaten in ein Zeugenschutzprogramm."
Die Mengen und Wirkstoffgehalt des Marihuana hat die Kammer mit folgender Begründung festgestellt:
"Da nicht festgestellt werden konnte, dass das später in Süddeutschland sichergestellte Marihuana auch das war, das sich in dem Fahrzeug der Angeklagten befunden hatte, hat die Kammer das Gewicht des in dem Fahrzeug des Angeklagten L gefundenen Marihuanas auf 5 kg geschätzt. Diese Schätzung beruht auf den Angaben der Angeklagten zur Größe der Koffer und deren Inhalt sowie auf den Erfahrungen der Kammer als Spezialkammer für Betäubungsmitteldelikte. Im Übrigen haben auch die Angeklagten selbst erklärt, dass es sich um mehrere Kilogramm Marihuana gehandelt hab...