Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Restes der Jugendstrafe. Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft. Schwere der Schuld
Leitsatz (amtlich)
Nach Verbüßung von Zweidrittel (mindestens 6 Monate) einer das gesetzliche Höchstmaß deutlich unterschreitenden Jugendstrafe kann die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe nach § 88 JGG nicht wegen der Schwere der Schuld, sondern nur bei fehlender positiver Sozialprognose abgelehnt werden.
Normenkette
JGG § 85 Abs. 6, §§ 88, 17; StGB § 57; StPO § 454 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Hagen (Aktenzeichen 61 StVK 871/14) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der heute 45-jährige Verurteilte ist durch Urteil der 2. großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Arnsberg vom 22.06.2010 wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt.
Nach den Urteilsfeststellungen verschaffte sich der zur Tatzeit 18-jährige Verurteilte am 28.05.1987 im Anschluss an eine Aufstiegsfeier des örtlichen Fußballvereins Zutritt zu der Wohnung der ihm bekannten 26-jährigen Geschädigten. Dort kam es zu einer heftigen handgreiflichen Auseinandersetzung, bei der der Verurteilte der Geschädigten u.a. Schläge gegen den Kopf versetzte, da sie sich gegen den von ihm erstrebten Geschlechtsverkehr massiv zur Wehr setzte. Als die Geschädigte einen Schrei ausstieß, würgte der Verurteilte sie bis zur Bewusstlosigkeit, um sie "zum Schweigen zu bringen." Im Anschluss fasste er den Entschluss, sie zu töten, "um den Versuch der Vergewaltigung und die vorausgegangene gefährliche Körperverletzung zu verdecken". Hierzu nahm er aus der Küche ein Messer mit einer Klingenlänge von ca. 12 cm und stach damit 74 Mal auf die bewusstlos und entkleidet auf dem Bett liegende Geschädigte ein. Die Geschädigte verstarb binnen Kürze an den ihr zugefügten Verletzungen. Der Verurteilte befand sich bei Begehung der Tat aufgrund zuvor konsumierten Alkohols in einem enthemmten Zustand, der seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit erheblich verminderte.
Die zunächst zur Täterschaft ergebnislos geführten Ermittlungen wurden im Jahr 2007 mit der Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen wieder aufgenommen und führten schließlich dazu, dass gegen den Verurteilten am 10.02.2009 durch das Amtsgericht Arnsberg ein Haftbefehl erlassen wurde, der vom 11.02.2009 bis zu seiner Außervollzugsetzung am 16.03.2010 in der JVA I vollstreckt wurde.
Der Verurteilte ging - von vorübergehenden Unterbrechungen durch Wehrdienst und Arbeitslosigkeit abgesehen - seit 1988 durchgängig einer geregelten Beschäftigung, zunächst als Metallschleifer, seit 2003 bis zu seiner Festnahme als Verkäufer in einem Baumarkt nach. Nach der Trennung von seiner ersten Ehefrau - aus der Ehe ging eine Tochter hervor - heiratete der Verurteilte 2006 erneut und bewohnte gemeinsam mit seiner Frau und vier Kindern aus deren früherer Ehe ein Einfamilienhaus in T. Er ist weder vor noch nach der Tat anderweitig strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Die Jugendkammer hat "schädliche Neigungen" des zum Zeitpunkt des Urteils 41-jährigen Verurteilten im Sinne des § 17 Abs. 2, 1. Var. JGG angesichts der 23 Jahre zurückliegenden Tat sowie des Umstandes, das der Verurteilte weder vor noch nach der Tat strafrechtlich in Erscheinung getreten war, nicht festzustellen vermocht. Sie hat die Verhängung von Jugendstrafe jedoch wegen der Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2, 2. Var. JGG als erforderlich angesehen.
Der Verurteilte verbüßte die Jugendstrafe seit dem 23.09.2011 zunächst in der JVA C-T, im Anschluss ab dem 30.09.2011 in der JVA I1; seit dem 10.02.2012 befindet er sich in Strafhaft in der JVA T.
Das Amtsgericht - Jugendrichter - Soest hat als gemäß §§ 82 Abs. 1, 84, 85 JGG zuständiger Vollstreckungsleiter mit Beschluss vom 01.09.2011 (Az. 24 VRJs 72/11) angeordnet, dass der Verurteilte zur Verbüßung der Jugendstrafe in den Normalvollzug für Erwachsene zu überführen ist. Mit Beschluss vom selben Tage hat das Amtsgericht Soest die Strafvollstreckung zudem gemäß § 85 Abs. 6 S. 1 JGG auf die Staatsanwaltschaft Arnsberg übertragen.
In Vorbereitung der Prüfung einer bedingten Entlassung des Verurteilten zu dem auf den 16.12.2014 berechneten "2/3-Termin" hat der Leiter der JVA T unter dem 24.09.2014 eine Stellungnahme abgegeben, in der "eine Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 StGB derzeit nur unter den Voraussetzungen engmaschiger Bewährungsauflagen und der Bestellung eines Bewährungshelfers befürwortet" wird. In der darin wiedergegebenen Stellungnahme des zuständigen psychologischen Dienstes heißt es u.a.:
"Herr B. war bis März 2013 Tatleugner. Seine Bereitschaft, über die nun fast 30 Jahre zurückliegende Tat zu gestehen, änderte sich, als seine jetzige Ehefrau sich scheiden lassen wollte. Im Verlaufe der Gespräche gelang es ihm ...