Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafvollzug. Erhebung eines Haftkostenbeitrags. Ablösung von der Arbeit. Amtsaufklärungspflicht der Strafvollstreckungskammer im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Frage, ob die Erhebung eines Haftkostenbeitrags gemäß § 39 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StVollzG NRW ausscheidet, weil ein Strafgefangener unverschuldet an einer Beschäftigung gehindert ist, ist durch eine hinreichende Tatsachenfeststellung zu klären, die ebenso wie der Nachweis eines mit einer Disziplinarmaßnahme belegten Pflichtenverstoßes der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.

2. Erfolgt die endgültige Ablösung eines Strafgefangenen von seinem Arbeitsplatz, weil die Vollzugsanstalt durch ihn begangene Pflichtverletzungen als nachgewiesen ansieht, ist auch die diesbezügliche Überzeugungsbildung gerichtlich voll überprüfbar.

 

Normenkette

StVollzG §§ 109 ff.; StVollzG NRW § 39 Abs. 2 S. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Aktenzeichen 33a StVK 472/19)

 

Tenor

Dem Betroffenen wird kostenfrei Wiedereinsetzung in vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 17.05.2019 gewährt.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird zugelassen, soweit die auf die Aufhebung des Haftkostenbescheids der JVA Aachen vom 04.04.2019 sowie auf die "Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihn wieder in der Kantine einzusetzen," gerichteten Anträge des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen worden sind.

Der angefochtene Beschluss wird im Umfang der Zulassung aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.

 

Gründe

I.

Der Betroffene verbüßt derzeit Freiheitsstrafen sowie eine Restjugendstrafe in der JVA Aachen; das Ende der Haftzeit ist auf den 07.05.2020 notiert.

Nachdem am 06.03.2019 und am 07.03.2019 Türschlösser eines Büroraums der JVA derart manipuliert worden waren, dass diese ausgetauscht werden mussten, und die Antragsgegnerin im Verlaufe eines gegen den Betroffenen eingeleiteten Disziplinarverfahrens (das nicht zur Verhängung einer Disziplinarmaßnahme führte) aufgrund der Angaben von drei anderen Inhaftierten zu der Überzeugung gelangt war, dass der dies bestreitende Betroffene diese Manipulationen verübt habe, wurde er von seiner bis dahin ausgeübten Tätigkeit in der Mitarbeiterkantine zunächst vorläufig und schließlich endgültig abgelöst. Ferner erhob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 04.04.2019 unter Hinweis auf den vom Betroffenen (vermeintlich) verschuldeten Verlust seines Arbeitsplatzes einen Haftkostenbeitrag in Höhe von 309,90 €.

Mit seinen Anträgen auf gerichtliche Entscheidung hat der Betroffene insbesondere die Aufhebung des vorgenannten Haftkostenbescheids und des Disziplinarverfahrens sowie die Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Verfahrens beantragt und ferner verlangt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn wieder in der Kantine einzusetzen und das Disziplinarverfahren bis zur abschließenden Klärung nicht im Rahmen der Prüfung zur Verlegung in den offenen Vollzug bzw. einer vorzeitigen Entlassung zu berücksichtigen. Hierbei hat der Betroffene insbesondere geltend gemacht, dass einer der Inhaftierten, die gegenüber der Antragsgegnerin ihn belastende Angaben gemacht haben, diese Angaben mittlerweile widerrufen habe.

Diese Anträge auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen mit Beschluss vom 17.05.2019 zurückgewiesen.

Hierbei wurden die Anträge auf Aufhebung und Feststellung der Rechtswidrigkeit des (ohne Disziplinarmaßnahme abgeschlossenen) Disziplinarverfahrens sowie bezüglich dessen Berücksichtigung bei der Prüfung einer Verlegung bzw. einer vorzeitigen Entlassung jeweils mangels Vorliegen einer nach § 109 StVollzG anfechtbaren Maßnahme für unzulässig erachtet.

Die Anträge auf Aufhebung des Haftkostenbescheids und auf Weiterbeschäftigung in der Kantine hat die Strafvollstreckungskammer als unbegründet angesehen und hierzu insbesondere ausgeführt, dass es sich bei der Ablösung vom Arbeitsplatz nicht um eine Disziplinarentscheidung im Sinne von § 80 StVollzG NRW handele, sondern diese am Maßstab des § 83 Abs. 3 StVollzG NRW zu messen sei, wobei der Vollzugsanstalt im Hinblick auf die Beurteilung der einen Widerruf im Sinne dieser Norm rechtfertigenden Umstände ein gerichtlich nur eingeschränkter Beurteilungsspielraum zustehe. Hiervon ausgehend, führt die Strafvollstreckungskammer insbesondere aus, dass angesichts der zureichenden Anstrengungen der Antragsgegnerin zur Aufklärung des Sachverhalts keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass ihre Annahme, dass der Betroffene zwei Türschlösser beschädigt habe, auf unrichtigen oder unvollständigen tatsächlichen Grundlagen beruhen würde. Soweit der Betroffene eine unzutreffende Wür...

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