Leitsatz (amtlich)

Allein die Feststellung, der Betroffene habe "große Angst um seinen Arbeitsplatz" reicht zur Begründung für ein Absehen vom Fahrverbot aus beruflichen Gründen nicht aus.

 

Verfahrensgang

AG Bottrop (Entscheidung vom 30.11.2005)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bottrop hat gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft - fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. den §§ 3, 41, 49 StVO - eine Geldbuße in Höhe von 200,- EUR kostenpflichtig festgesetzt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, der die Generalstaatsanwaltschaft unter Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch beigetreten ist.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Umfang der Anfechtung, nämlich im Rechtsfolgenausspruch.

Das angefochtene Urteil war im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, weil seine Begründung nicht den nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung bestehenden Anforderungen an das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes genügt.

Nach § 4 Abs. 4 BKatV kann in Ausnahmefällen unter Erhöhung der Geldbuße von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden. Auch besteht für den Fall der Verhängung eines Fahrverbotes gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StVG die Möglichkeit, das Fahrverbot auf Kraftfahrzeuge einer bestimmten Art zu beschränken. Die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung des Regeltatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung - hier des § 4 Abs. 1 Ziffer 1 der Bußgeldkatalogverordnung i.V.m. der lfd. Nr. 11.3.6 Tabelle 1 c des Anhangs zum Bußgeldkatalog - der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, dass ein gänzliches Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes oder aber eine Beschränkung des Fahrverbotes auf bestimmte Arten von Fahrzeugen gerechtfertigt ist, unterliegt zwar in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung. Dem Tatrichter ist insoweit aber kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, vielmehr ist der ihm verbleibende Entscheidungsspielraum durch gesetzlich niedergelegte und durch von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt. Insoweit unterliegt die verhängte Rechtsfolge hinsichtlich ihrer Angemessenheit in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung des Fahrverbotes oder des Absehens von einem solchen zu zählen ist. Soweit der Tatrichter ein Absehen vom Regelfahrverbot aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen des Betroffenen für angemessen erachtet, reicht hierzu indes nicht jeder berufliche Nachteil aus. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigt vielmehr nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die ggf. im Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist, den Verzicht auf ein - uneingeschränktes - Fahrverbot (Senat, Beschluss vom 03.05.2004 - 3 Ss OWi 239/04 OLG Hamm -; vgl. auch OLG Hamm, VRS 90, 210, 212; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366 f.; OLG Hamm, 4. Senat, Beschlüsse vom 18.02.2003 - 4 Ss OWi 73/03 OLG Hamm - und vom 06.02.2003 - 4 Ss OWi 75/03 OLG Hamm -).

Angaben des Betroffenen zu beruflichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten dürfen dabei vom Tatrichter nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr muss das Urteil sich mit der Glaubhaftigkeit der Angaben des Betroffenen auseinandersetzen, der sich auf besondere Härten wie etwa drohenden Existenz- oder Arbeitsplatzverlust beruft (Senat, a.a.O.).

Insoweit liegen nur dann hinreichende, das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes oder aber die nur eingeschränkte Verhängung des Fahrverbotes tragende Urteilsgründe vor, wenn im Einzelnen dargelegt wird, dass es dem Betroffenen nicht möglich ist, zumutbare Maßnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Fahrverbotes zu ergreifen (Senat, Beschluss vom 28.10.2004 - 3 Ss OWi 601/04 OLG Hamm -). Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot ist nämlich eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen (BGH MDR 1992, 278; OLG Hamm, NZV 1996, 118). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot oder die nur eingeschränkte Verhängung des Fahrverbots rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Die ungeprüfte Wiedergabe einer für nicht widerlegt gehaltenen Einlassung des Betroff...

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