Leitsatz (amtlich)
Der Tatrichter muss seine Entscheidung von einem Regelfahrverbot abzusehen, eingehend begründen. Er darf nicht nur die Einlassung des Betroffenen unkritisch übernehmen.
Verfahrensgang
AG Bottrop (Entscheidung vom 04.11.2005) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Bottrop hat gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 47 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft - fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG i.V.m. den §§ 3, 41, 49 StVO - eine Geldbuße in Höhe von 200,00 EUR verhängt.
Nach den Urteilsfeststellungen überschritt der Betroffene am 28.05.2005 gegen 13.49 Uhr mit dem von ihm geführten PKW BMW mit dem amtlichen Kennzeichen ... auf der Bundesautobahn A 42 in Fahrtrichtung Dortmund außerhalb geschlossener Ortschaft die im Bereich der Messstelle durch Verkehrszeichen 274 auf 80 km/h beschränkte Geschwindigkeit um 47 km/h. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mit einem Verkehrsradargerät des Typs Multanova 6F.
Das Amtsgericht hat den Rechtsfolgenausspruch wie folgt begründet:
"Der Bußgeldkatalog sieht bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 47 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft eine Geldbuße von 100,00 EUR und ein Fahrverbot von einem Monat vor.
Die Verhängung eines Fahrverbotes wäre eine Härte ganz außergewöhnlicher Art. Der Betroffene ist Generalmanager bei der S. AG. Der Hauptsitz des Unternehmens ist in Hamburg. Aufgabe des Betroffenen ist die Beratung der Händler vor Ort und der Absatz der Produkte der S. AG. Der Betroffene ist der Hauptverantwortliche für den Umsatz des Unternehmens. In der Eigenschaft als Generalmanager besucht der Betroffene die ca. 200 Händler in Deutschland und die ca. 60 Händler in Österreich. Er fährt in diesem Zusammenhang ca. 70.000 km im Jahr. Die Bürotätigkeit am Stammsitz in Hamburg, wo er sich von seinem Wohnort in Recklinghausen zweimal in der Woche einfindet, macht nur einen Bruchteil seiner Arbeitszeit aus. Der Betroffene hat beschwörend darauf hingewiesen, dass er bei einem japanischen Konzern beschäftigt ist, bei dem ganz andere Anforderungen an das Personal und insbesondere an Führungskräfte gestellt werden. Ein zusammenhängender Urlaub von einem Monat ist ebenso undenkbar, wie eine 40-Stunden-Woche.
Der Betroffene besitzt die Fahrerlaubnis seit 34 Jahren. Vorbelastungen liegen nicht vor.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist von der Verhängung eines Fahrverbotes unter gleichzeitiger Verdoppelung der Geldbuße abgesehen worden."
Gegen dieses Urteil richtet sich die bei zutreffender Auslegung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird und die sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes richtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde unter ergänzenden Ausführungen angeschlossen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.
Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und dem gemäß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992,286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsentscheidungen vom 22.08.2005 - 3 Ss OWi 421/05; vom 04.03.2005 - 3 Ss OWi 3/05 -; vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; vom 04.07.2002 - 3 Ss OWi 339/02 -; vom 06.06.2000 - 3 Ss OWi 237/00 -; OLG Hamm NZV 1997, 185).
Nach der obergerichtlichen Rechtssprechung hat der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arb...