Leitsatz (amtlich)
Die Gegenvorstellung gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem - ohne Zulassung der Rechtsbeschwerde - die Beschwerde gegen die Ablehnung eines selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen wurde, ist unzulässig, weil der mit der Gegenvorstellung angegriffene Beschluss in formelle und materielle Rechtskraft erwachsen ist und deswegen aufgrund einer Gegenvorstellung nicht geändert werden kann.
Normenkette
ZPO § 485 ff.
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 1 OH 2/22) |
Tenor
Hinweis: Der mit der Gegenvorstellung angegriffene Senatsbeschluss vom 05.05.2022 (11 W 17/22) ist ebenfalls veröffentlicht.
Die Gegenvorstellung der Antragstellerin vom 02.06.2022 gegen den Senatsbeschluss vom 05.05.2022 wird als unzulässig verworfen
Gründe
1. Die Gegenvorstellung ist unzulässig. Denn der Senat ist an seine Entscheidung vom 05.05.2022 in entsprechender Anwendung von § 318 ZPO gebunden und darf sie aufgrund der erhobenen Gegenvorstellung nicht nachträglich ändern.
Die Gegenvorstellung stellt eine Anregung an das Gericht dar, eine für die Partei unanfechtbarer Entscheidung zu ändern. Daher kommt sie nur dann in Betracht, wenn das Gericht zu einer Änderung seiner Entscheidung befugt ist und diese auch von Amts wegen vornehmen durfte (BVerfG, Beschluss vom 25.11.2008 - 1 BvR 848/07, juris Rn. 39; Jacobs, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Auflage 2018, § 567 Rn. 30). Die Gegenvorstellung dient der Selbstkorrektur von unanfechtbaren Entscheidungen; diese können aber nicht über den Umweg der Gegenvorstellung anfechtbar gemacht werden (BGH, Beschluss vom 18.10.2018 - IX ZB 31/18, juris Rn. 13).
Eine Gegenvorstellung kommt insbesondere in Betracht, wenn Entscheidungen angegriffen werden, die nicht der materiellen Rechtskraft fähig sind (BGH, Beschluss vom 19.07.2018 - V ZB 6/18, juris Rn. 11; Wulf, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 44. Edition, Stand: 01.03.2022, § 567 Rn. 19). Dazu zählen verfahrensleitende Verfügungen und Beschlüsse wie Terminverfügungen oder Entscheidungen in unselbständigen Nebenverfahren, wie die Erteilung der Vollstreckungsklausel oder die Ablehnung von Prozesskostenhilfe im Berufungs- und Revisionsverfahren. Soweit das Gericht oder der Vorsitzende eine Entscheidung auch ohne Antrag ändern darf, wie etwa in den Fällen der §§ 150, 155, 227 Abs. 4, 319, 360 ZPO, ist auch diese auf Gegenvorstellung jederzeit abänderbar.
Unzulässig ist eine Gegenvorstellung aber gegen Entscheidungen, an die das Gericht entsprechend § 318 ZPO gebunden ist. Zwar bezieht sich § 318 ZPO dem Wortlaut nach nicht auf Beschlüsse; auch § 329 Abs. 1 S. 2 ZPO enthält keine dahingehende Verweisung. Gleichwohl können auch Beschlüsse für das erlassende Gericht bindend sein, wobei Eintritt und Reichweite der Bindungswirkung maßgeblich von der Art des jeweiligen Beschlusses abhängen. So ist anerkannt, dass Beschlüsse, die auf sofortige Beschwerde ergangen sind und der Rechtsbeschwerde unterliegen, in entsprechender Anwendung von § 318 ZPO unabänderlich und damit grundsätzlich bindend sind; eine Änderung kann nur im Wege der Rechtsbeschwerde durch das Rechtsbeschwerdegericht erfolgen, nicht aber auf eine Gegenvorstellung durch das Gericht, das den Beschluss erlassen hat (BGH, Beschluss vom 18.10.2018 - IX ZB 31/18, juris Rn. 13; BGH, Beschluss vom 19.07.2018 - V ZB 6/18, juris Rn. 10).
Ist die Rechtsbeschwerde - wie im vorliegenden Fall - mangels Zulassung nicht eröffnet und die Beschwerdeentscheidung damit formell rechtskräftig, kommt eine Abänderung zwar grundsätzlich in Betracht, scheidet aber aus, wenn die Entscheidung bindend geworden ist, insbesondere wenn sie materielle Rechtskraft erlangt hat (Hamdorf, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, Vorbemerkung zu § 567 Rn. 19). So ist etwa die Entscheidung des Beschwerdegerichts, mit der ein versagter Zuschlag erteilt oder ein erteilter Zuschlag versagt wird, nicht abänderbar, da diese Entscheidung materielle Rechtskraft erlangt,
weil sich durch sie unmittelbar die materielle Rechtslage hinsichtlich des Eigentums an dem Grundstück ändert (BGH, Beschluss vom 19.07.2018 - V ZB 6/18, juris Rn. 11; BGH, Beschluss vom 01.10.2009 - V ZB 37/09, juris Rn. 8 f.).
Auch der Beschluss, mit dem der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen wird, entfaltet materielle Rechtskraft. Wird eine gegen diesen Beschluss erhobene sofortige Beschwerde zurückgewiesen, wie dies mit dem Senatsbeschluss vom 05.05.2022 erfolgt ist, entfaltet auch dieser Beschluss formelle Rechtskraft. Beschlüsse sind der materiellen Rechtskraft fähig, wenn sie in formeller Rechtskraft erwachsen und inhaltlich eine der Rechtskraft fähige Entscheidung enthalten (BGH, Beschluss vom 03.03.2004 - IV ZB 43/03, juris Rn. 6 m. w. N.). Der Senatsbeschluss vom 05.05.2022 ist formell rechtskräftig, da die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wurde. Er ist auch materiell rechtskräftig. Ob materielle Rechtskraft vorliegt, ist am Zweck des in den §§ 322, 325 ZPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens zu m...