Leitsatz (amtlich)
1.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Jugendstrafe ist der des Erlasses des Urteils. Neben dem Erziehungsgesichtspunkt sind bei der Erforderlichkeit der Verhängung der Jugendstrafe auch andere Strafzwecke zu berücksichtigen, insbesondere ist die verwirklichte Schuld mit dem Erziehungsgedanken abzuwägen.
2.
Zum Doppelverwertungsverbot und zur Festsetzung einer Jugendstrafe
Verfahrensgang
AG Recklinghausen (Entscheidung vom 10.02.2004) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufgehoben.
In Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückverwiesen.
Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils ist gegenstandslos.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - hat den Angeklagten am 02. Juli 2002 als Heranwachsenden wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gem. §§ 176, 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Auf die Revision des Angeklagten ist dieses Urteil durch Beschluss des Senats vom 18. Dezember 2002 (2 Ss 945/02 OLG; http://www.burhoff.de) im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Recklinghausen zurückverwiesen worden.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 10. Februar 2004 hat das Jugendschöffengericht gegen den Angeklagten als Rechtsfolge erneut eine Jugendstrafe von einem Jahr festgesetzt, deren Vollstreckung es wiederum zur Bewährung ausgesetzt hat. Das Gericht hat Jugendstrafrecht mit der Begründung angewendet, dass jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, dass im Zeitpunkt der Tat Reifeverzögerungen im Sinne von § 105 JGG vorgelegen hätten.
Die Verhängung der Jugendstrafe gem. § 17 Abs. 2, 2. Alt. JGG hat das Gericht mit folgenden Erwägungen begründet:
"Dabei hat das Gericht nicht verkannt, dass die Schwere des verwirklichten Tatunrechts allein die Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld nicht rechtfertigen kann. Für die Beurteilung der Schuld kommt es vielmehr weitgehend auf die charakterliche Haltung und das gesamte Persönlichkeitsbild des Angeklagten an. Das äußere Tatgeschehen hat nur insoweit Berücksichtigung zu finden, als es Schlüsse auf das Maß der persönlichen Schuld und die charakterliche Haltung des Täters zulässt.
Vorliegend hat der Angeklagte die Geschädigte K.E. sexuell missbraucht, wobei dieser Missbrauch sogar mit einem Eindringen in den Körper des Kindes verbunden war. Die Begehung dieses besonders verwerflichen Delikts zeigt die charakterliche Haltung des Angeklagten und spiegelt seine Persönlichkeit wieder: Motiv für die Tat war alleine die Befriedigung seines Geschlechtstriebes. Hierfür nahm er in Kauf, seinem Opfer schwere psychische Schäden zuzufügen, deren Auswirkungen für die Zukunft kaum absehbar waren. Dabei handelte es sich bei dem von ihm auserwählten Opfer um ein zur Tatzeit gerade 6-jähriges Mädchen, das aufgrund seines Alters noch keinerlei Kenntnisse im Bereich der Sexualität hatte. Das Mädchen konnte daher nicht einmal genau bestimmen, was der Angeklagte mit ihm tat, sodass es ihm hilflos ausgeliefert war. Dieses Verhalten zeigt, dass der Angeklagte keine Achtung vor der Würde und dem freien Willen anderer hat, sondern den eigenen Vorteil unter Missachtung des Wohlergehens anderer an erste Stelle stellt.
Erschwerend kommt dabei noch hinzu, dass er seit Jahren mit seinem Opfer bekannt war und das ihm aufgrund dessen entgegengebrachte Vertrauen bewusst ausnutzte. Denn allein aufgrund des Umstandes, dass das Mädchen den Angeklagten kannte und von diesem nichts Böses erwartete, leistete es keinen Widerstand, sondern folgte ihm wie geheißen ins Badezimmer. Hier konnte der Angeklagte die Tat ungestört begehen. Gerade auch diese Vorgehensweise prägt das Persönlichkeitsbild des Angeklagten und zeigt eine charakterliche Schwäche, die den Schluss auf eine besondere Schwere der Schuld zulässt.
Von der Verhängung der Jugendstrafe konnte auch nicht deshalb abgesehen werden, weil sie aus erzieherischen Gründen nicht mehr erforderlich wäre. Denn bei der Schwere der Schuld ist zwar der im gesamten Jugendstrafrecht geltende Erziehungsgedanke stets vorrangig zu berücksichtigen; er kann jedoch hier nicht das allein ausschlaggebende Kriterium bilden. Denn neben erzieherischen Gesichtspunkten kann auch das hohe Maß an Schuld die Strafe beeinflussen (...). Der Erziehungsgedanke schließt nicht aus, der Schwere der Schuld eigenständige Bedeutung beizumessen. Welches Gewicht der einzelnen Zumessungserwägung hierbei zukommt, ist Sache des Einzelfalls und hängt sowohl von den Umständen der Tat als auch von der Persönlichkeit des Täters ab. Bereits oben wurden Ausführungen zur charakterlichen Haltung und dem Persönlichkeitsbild des Angeklagten gemac...