Leitsatz (amtlich)

1. Die gesteigerte Unterhaltspflicht ggü. minderjährigen Kindern (§ 1603 Abs. 2 S. 1 BGB) kann es erfordern, eine Umschulungsmaßnahme zurückzustellen und einer den Unterhalt sicherstellenden Erwerbstätigkeit nachzugehen.

2. Bei der Suche nach einem entsprechenden Arbeitsplatz reicht es nicht aus, sich beim Arbeitsamt vergeblich um eine Arbeitsplatzvermittlung bemüht zu haben. Es ist vielmehr eine intensive Eigeninitiative vom Unterhaltspflichtigen zu verlangen.

 

Normenkette

BGB § 1603 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Hamm (Aktenzeichen 30 F 10/02)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger vom 28.3.2002 wird der Beschluss des AG Hamm vom 4.3.2002 unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde teilweise abgeändert:

Den Klägern wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit sie mit der Klage das Ziel verfolgen, dass der Beklagte in Abänderung des Beschlusses des AG Mülheim vom 7.5.2001 (28 FH 6/01) verurteilt wird, wie folgt Unterhalt an die Kläger zu zahlen:

1. für die Zeit vom 1.7.2001 bis zum 31.12.2001

für den Kläger zu 1) monatlich 444 DM,

für die Klägerin zu 2) monatlich 444 DM,

2. für die Zeit vom 1.1.2002 bis zum 30.11.2002

für den Kläger zu 1) monatlich 269 Euro,

für die Klägerin zu 2) monatlich 228 Euro,

3. für die Zeit ab 1.12.2002

für den Kläger zu 1) monatlich 269 Euro

für die Klägerin zu 2) monatlich 269 Euro.

Den Klägern wird Rechtsanwältin M. aus Halle zu den Bedingungen eines in Hamm ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.

 

Gründe

1. Die Kläger sind die Kinder des Beklagten aus dessen geschiedener Ehe. Der Beklagte ist aufgrund des Beschlusses des AG Mülheim vom 7.5.2001 (28 FH 6/01) verpflichtet, an seine Kinder monatlichen Unterhalt i.H.v. je 431 DM zu zahlen. Die Kläger wollen mit einer Abänderungsklage höheren Unterhalt durchsetzen. Der Beklagte hält sich für nicht leistungsfähig, weil er an einer Umschulungsmaßnahme teilnimmt und nur Unterhaltsgeld erhält. Das AG hat den Prozesskostenhilfeantrag mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es könne nicht angenommen werden, dass der Beklagte eine Arbeit finden könnte, die es ihm ermöglichen würde, höheren als den bereits titulierten Unterhalt zu zahlen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die zulässige Beschwerde der Kläger, mit der sie Prozesskostenhilfe für Unterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrages begehren. Das Rechtsmittel ist teilweise begründet und führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

2. Die Klage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, soweit die Kläger den Mindestunterhalt, also Unterhalt in Höhe der Einkommensgruppe 1 der Unterhaltstabelle, verlangen.

Der Unterhaltsanspruch folgt aus § 1601 BGB. Der Beklagte ist seinen minderjährigen Kindern ggü. gem. § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB in gesteigertem Umfang zu Unterhaltsleistungen verpflichtet. Der Ansicht der Kläger, ihnen stehe als Existenzminimum Unterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrages zu, ist nicht zu folgen. Der Bedarf der minderjährigen Kinder ist auch nach dem Wegfall des § 1610 Abs. 3 BGB nicht unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Unterhaltsverpflichteten mit dem sog. Existenzminimum gleichzusetzen. Der Unterhaltsanspruch ist individuell zu bemessen. Im Verwandtenunterhalt, um den es hier geht, bestimmt sich das Maß des zu gewährenden angemessenen Unterhalts grundsätzlich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (§ 1610 Abs. 1 BGB). Daraus folgt, dass minderjährige Kinder weiterhin nur in Höhe des Tabellenunterhalts nach der Einkommensgruppe 1 von der Darlegungs- und Beweislast für ihren Bedarf sowie für die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten befreit sind. Verlangen sie dagegen höheren Unterhalt, so gelten die allgemeinen Beweislastgrundsätze (BGH v. 6.2.2002 – XII ZR 20/00, BGHReport 2002, 322 = FamRZ 2002, 536).

Von Dezember 2002 an sind beide Kläger in die Altersstufe 3 der Unterhaltstabelle einzuordnen. Ihnen steht daher nach der neuen Tabelle Unterhalt i.H.v. 269 Euro monatlich zu. Eine Anrechnung des Kindergeldes unterbleibt, weil der Beklagte außerstande ist, Unterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrages zu leisten (§ 1612b Abs. 5 BGB). Um Unterhalt in dieser Höhe leisten zu können, muss der Beklagte monatlich netto 1.288 Euro verdienen (269 Euro + 269 Euro + 750 Euro). Dabei hat der Senat als notwendigen Eigenbedarf des Beklagten denjenigen Tabellenbetrag zugrunde gelegt, der im Bezirk des OLG Naumburg, in dem der Beklagte lebt, angewendet wird. Um ein Einkommen i.H.v. netto 1.288 Euro monatlich zu verdienen, müsste der Beklagte ein Erwerbseinkommen i.H.v. brutto 2.000 Euro erzielen. Das zeigt folgende Rechnung:

Bruttoverdienst = 2.000,00 Euro

./. Lohnsteuer (Steuerklasse I) = 292,41 Euro

./. Solidaritätszuschlag (Kinderfreibeträge: 2 × 0,5) = 8,62 Euro

./. Rentenversicherung (19,5 %) = 195,00 Euro

./. Arbeitslosenversicherung = 65,00 Euro

./. Krankenversicherung (14 %) = 140,00 Euro

./. Pflegeversicherung =   17,00 Euro

verbleiben = 1.281,97 Euro

Das vom Beklagten tatsächlich verdiente Einkommen ist zwar gering...

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