Verfahrensgang
AG Unna (Aktenzeichen 12 F 655/20) |
Tenor
I. Der Senat beabsichtigt, ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren gem. §§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG wie folgt zu entscheiden:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Unna vom 10.01.2022 (12 F 655/20) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 6.000 EUR festgesetzt.
II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Der Antragsteller mag zur Meidung von Kostenweiterungen die Rücknahme des Rechtsmittels erwägen.
Gründe
I. Die statthafte und zulässige (§ 58 ff. FamFG) Beschwerde wird in der Sache aus den zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses keinen Erfolg haben.
II. Lediglich ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Beschluss, soweit das Amtsgericht dem Antragsgegner lediglich ein Einkommen in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns fiktiv unterstellt hat. Er ist der Auffassung, der Durchschnittsverdienst eines ungelernten Arbeiters liege bei 1.504 EUR netto/Monat. Mindestens ein Einkommen in dieser Höhe sei auch für den Antragsgegner anzusetzen.
2. Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt neben den nicht ausreichenden Erwerbsbemühungen auch eine reale Beschäftigungschance des Unterhaltspflichtigen voraus. Daher darf dem Unterhaltspflichtigen auch bei einem Verstoß gegen seine Erwerbsobliegenheit nur ein Einkommen zugerechnet werden, welches von ihm realistischerweise zu erzielen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. März 2010, Az. 1 BvR 3031/08; BGH, Beschluss vom 19. Juni 2013, Az. XII ZB 39/11 - Rdnr. 18 bei juris).
Richtig ist, dass den Unterhaltsschuldner hinsichtlich der von ihm reklamierten Leistungsunfähigkeit die volle Darlegungs- und Beweislast trifft; dies gilt insbesondere auch für die Behauptung es fehle jede reale Beschäftigungschance (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2012, Az. XII ZR 178/09 - Rdnr. 30 bei juris; Urteil vom 15. November 1995 - Az. XII ZR 231/94). An die Feststellung der die (auch fiktive) Leistungsunfähigkeit tragenden Umstände sind gerade im hier vorliegenden Fall der Verpflichtung zur Zahlung von Minderjährigenunterhalt strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. BGH Beschluss vom 22. Januar 2014, Az. XII ZB 185/12 - Rdnr. 13 bei juris). Jeder ernsthafte Zweifel daran, ob bei sachgerechten Bemühungen eine nicht ganz von der Hand zu weisende Beschäftigungschance bestanden hätte, geht zu Lasten des Erwerbspflichtigen (vgl. Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl., § 1 Rdnr. 784).
Ob ein Unterhaltspflichtiger einen geeigneten (Vollzeit-)Arbeitsplatz finden kann, hängt einerseits von den persönlichen Eigenschaften des Arbeitssuchenden wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Gesundheitszustand u.ä. und andererseits von den jeweiligen Verhältnissen auf dem örtlichen Arbeitsmarkt ab (vgl. BVerfG a.a.O.).
Im Streitfall ist nach dem Sachstand im zweiten Rechtszug festzustellen, dass der Antragsgegner nach seinen - unwidersprochenen - Darlegungen nie eine dauerhafte Beschäftigung ausgeübt hat. Er hat im Jahr 2012 den Hauptschulabschluss erworben, eine Berufsausbildung hat er nicht absolviert.
Damit sind die Möglichkeiten der Vermittlung des Antragsgegners in eine Arbeitsstelle naturgemäß erheblich eingeschränkt.
Zwar geht der Einwand des Antragsgegners, fiktive Einkünfte seien ihm mangels realer Beschäftigungschancen nicht zuzurechnen, ins Leere, da der Antragsgegner keinerlei tragfähige Umstände vorträgt, deretwegen es ihm in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen an realen Beschäftigungschancen gefehlt haben soll. Zwar setzt die Zurechnung eines fiktiven Einkommens voraus, dass der Unterhaltspflichtige die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat und eine reale Beschäftigungschance bestand. Dabei darf dem Pflichtigen nur das fiktive Einkommen zugerechnet werden, das er realistischerweise erzielen kann (vgl. BGH, FamRZ 2009, 314). Dies hängt von seinen persönlichen Voraussetzungen wie Alter, berufliche Qualifikation, Erwerbsbiographie, Gesundheitszustand und Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen ab (vgl. BVerfG, FamRZ 2012, 1283). Nach den erstinstanzlichen Feststellungen ist auch grundsätzlich davon auszugehen, dass der Antragsgegner zur Ausübung einer Vollzeitbeschäftigung gesundheitlich in der Lage ist.
Bei der im Fall des Antragsgegners in Rede stehenden Zurechnung fiktiver Einkünfte kann es aber allein um ungelernte Tätigkeiten im Mindestlohnsektor gehen. Für diese bestanden und bestehen - das ist allgemein bekannt - im gesamten Bundesgebiet hinreichende Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Unzureichende Sprachkenntnisse, mangelnde Berufserfahrung und fortgeschrittenes Alter stehen der Aufnahme einer wie hier in Rede stehenden einfachsten Beschä...