Entscheidungsstichwort (Thema)
AKB: Beweis bei Abwendung eines Wildunfalls; Reflexhandlung; grobe Fahrlässigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Beweis für die Tatsachen, aus welchen sich ein Anspruch auf Aufwendungsersatz wegen Abwendung eines Wildunfalls ergibt (§ 90 VVG), kann auch dann geführt sein (so hier - Anspruch bejaht), wenn ein Zeuge falsche Schätzangaben zu Entfernung und Geschwindigkeit macht.
2. Auch bei einer Reflexhandlung des Fahrers kann ein solcher Anspruch bestehen.
3. (Jedenfalls) Grobe Fahrlässigkeit verneint bei einem Ausweichmanöver einer schwangeren Fahrerin nach Erkennen eines über die Fahrbahn laufenden Rehs.
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 18 O 292/19) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
I. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.
Das Landgericht hat der auf Aufwendungsersatz nach einer unfallbedingten Beschädigung eines teilkasko-versicherten Fahrzeugs und auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage zu Recht stattgegeben. Die Berufungsangriffe der Beklagten aus der Berufungsbegründung vom 05.10.2020 (Bl. 40 ff. der elektronischen Gerichtsakte zweiter Instanz, im Folgenden: eGA-II und für die erste Instanz eGA-I) greifen nicht durch.
1. Der in der Hauptsache geltend gemachte Anspruch des Klägers auf Zahlung von 10.319,51 EUR ergibt sich aus § 90 VVG in Verbindung mit § 83 Abs. 1 VVG.
a) Die Beweislast dafür, dass der Eintritt eines Versicherungsfalls - nämlich eine Beschädigung des versicherten Fahrzeugs durch eine Kollision mit einem auf die Straße laufenden Reh - im Sinne von § 90 VVG unmittelbar bevorstand, trägt der Kläger. Beweiserleichterungen kommen ihm nicht zugute (vgl. OLG Rostock, Urteil vom 27.05.2016 - 5 U 45/14, Schaden-Praxis 2016, 312).
Der Senat hat keine Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an der Feststellung des Landgerichts, der Kläger habe diesen Beweis geführt. Davon ist vielmehr auch der Senat überzeugt.
aa) Die Zeugin L hat bei ihrer Vernehmung durch das Landgericht den Unfallhergang, aber auch das Randgeschehen davor und danach detailliert und lebensnah geschildert. Der Senat ist ebenso wie das Landgericht sicher, dass die Zeugin über ein tatsächlich in dieser Form erlebtes Geschehen berichtet hat.
Der in der Berufungsbegründung angesprochene Umstand, dass die Zeugin als Lebensgefährtin des Klägers ein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat, macht sie für sich genommen nicht unglaubwürdig.
Auch daraus, dass der Kläger dem zuständigen Jagdpächter eine vorformulierte Erklärung zur Unterschrift vorgelegt haben mag, lässt sich nichts gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin oder gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage herleiten.
Schließlich spricht das Vorbringen in der der Berufungsbegründung, die Zeugin habe bei einem Abstand von 2 Metern zu dem auf die Fahrbahn laufenden Reh und einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h gar nicht die Zeit gehabt, um mit dem von ihr bei der landgerichtlichen Vernehmung beschriebenen "Verreißen" des Lenkrads zu reagieren, nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin. Es liegt auf der Hand, dass es sich bei diesen Angaben um grobe Schätzungen handelt. Das gilt nicht nur, weil ganz allgemein Angaben von Zeugen zu Entfernungen und Geschwindigkeiten häufig fehlerbehaftet sind. Vielmehr kommt im hier zu beurteilenden Fall hinzu, dass sich das Geschehen für die Zeugin in Sekundenbruchteilen ereignete, diese also hinsichtlich der Entfernung des Rehs nur ganz flüchtige Wahrnehmungen machen konnte. Daraus, dass die Entfernung nach der Erinnerung der Zeugin nur zwei Meter betrug, kann deshalb nicht abgeleitet wäre, dass ihre Schilderung eines intuitiven, reflexartigen Ausweichmanövers nicht der Wahrheit entspricht.
bb) Entgegen dem Vorbringen in der Berufungsbegründung war das Landgericht nicht gehalten, die von der Beklagten benannte Zeugin O zu der Behauptung zu vernehmen, die Zeugin L habe vorprozessual geschildert, nach dem Erkennen des Rehs "die Hände vor das Gesicht geschlagen" zu haben, wobei von einem Ausweichmanöver "keine Rede" gewesen sei.
Ein reflexartiges schreckbedingtes Verreißen des Steuers einerseits und ein anschließendes Heben der Hände vor das Gesicht, wenn womöglich eine Kollision als vermeintlich unausweichlich empfunden wird, schließen sich nicht aus. Dass die Zeugin vorprozessual erklärt hätte, gerade nicht ausgewichen zu sein, sondern stur geradeaus gefahren zu sein und nur in der Weise reagiert zu haben, dass sie die Hände vor das Gesicht schlug, behauptet die Beklagte nicht.
Wenn das von d...