Verfahrensgang
AG Unna (Entscheidung vom 31.08.1998; Aktenzeichen 10 Ds 42 Js 499/98 (81/98)) |
Tenor
Die Revision wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten im angefochtenen Urteil "wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt". Hiergegen wendet sich die (Sprung-)Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen Rechte rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gem. §349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Hierzu hat der Verteidiger des Angeklagten noch einmal mit Schriftsatz vom 6. April 1999 Stellung genommen.
II.
Die (Sprung-)Revision des Angeklagten ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1.
a)
Mit seiner formellen Rüge macht der Angeklagte zunächst geltend, daß in der Hauptverhandlung nicht gemäß §243 Abs. 3 Satz 1 StPO der Anklagesatz verlesen worden sei. Die Begründung dieser Verfahrensrüge genügt den strengen Anforderungen des §344 Abs. 2 Satz 2 StPO, sie greift in der Sache jedoch nicht durch.
Zu Recht macht die Revision allerdings geltend, der Anklagesatz der Anklageschrift vom 21. April 1998 sei entgegen §243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht verlesen worden. Im Sitzungsprotokoll der Hauptverhandlung vom 31. August 1998 ist nämlich die vorgedruckte Passage über die Verlesung der Anklageschrift gestrichen und durch den Vermerk: "Auf Verlesung der Anklageschrift wurde verzichtet." ersetzt. Damit ist, da die Verlesung des Anklagesatzes zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinn des §273 Abs. 1 StPO gehört, deren Beobachtung nach §274 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (vgl. u.a. BGH NStZ 1982, 431, 432; Engelhardt in Karlsruher Kommentar, 4. Aufl., 1999, §273 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen), bewiesen, daß in der Hauptverhandlung vom 31. August 1998 der Anklagesatz der Anklageschrift vom 21. April 1998 nicht verlesen worden ist.
Auf diese Verlesung kann auch nicht verzichtet werden (Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, 25. Aufl., 1998, §243 Rn. 50). Die StPO sieht eine solche Verfahrensvereinfachung - anders als das OWiG in §78 Abs. 1 OWiG im Ordnungswidrigkeitenverfahren für den Bußgeldbescheid - nicht vor. Damit ist der vom Angeklagten in der Hauptverhandlung erklärte Verzicht in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
Die Verletzung des §243 Abs. 3 Satz 1 StPO führt vorliegend jedoch nicht zum Erfolg der Verfahrensrüge. Ein Verstoß gegen §243 Abs. 3 Satz 1 StPO gehört nicht zu den in §338 StPO aufgeführten Gesetzesverstößen, die einen absoluten Revisionsgrund darstellen. Vielmehr handelt es sich um einen sog. relativen Revisionsgrund (§337 StPO). Diesem kommt nach einhelliger Meinung in Literatur und obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. u.a. BGH NStZ 1982, 431; 1984, 521; 1995, 200; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., 1997, §243 StPO Rn. 37; Gollwitzer, a.a.O., §243 StPO Rn. 107) auch so wesentliche Bedeutung zu, daß in der Regel nicht wird ausgeschlossen werden können, daß das Urteil im Sinn des §337 StPO auf dieser Gesetzesverletzung beruht.
Von diesem Grundsatz lassen Rechtsprechung und Literatur (vgl. die vorstehenden Nachweise) jedoch dann Ausnahmen zu, wenn die Sach- und Rechtslage so einfach ist, daß es bei Berücksichtigung des Zwecks des Verlesungsgebots ausgeschlossen ist, daß der Gang des Verfahrens oder das Urteil von diesem (Rechts-)Mangel beeinflußt worden sein können. Sinn und Zweck der Verlesung des Anklagesatzes ist es (vgl. dazu Gollwitzer, a.a.O., §243 StPO, Rn. 50 mit weiteren Nachweisen) zunächst, diejenigen dichter, die, wie z.B. Schöffen, keine Aktenkenntnis haben, mit dem Verhandlungs- und Urteilsgegenstand bekannt zu machen. Darüber hinaus soll auch dem Angeklagten nochmals vor Augen geführt werden, was ihm zur Last gelegt wird und gegen welchen Vorwurf er sich verteidigen muß. Schließlich dient die Verlesung auch der Information der Öffentlichkeit über den Gegenstand der Hauptverhandlung.
Unter angemessener Berücksichtigung dieses Normzwecks ist hier - entgegen der Annahme der Revision - insbesondere im Schriftsatz vom 6. April 1999 -, aber in Übereinstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft - eine Ausnahme von dem o.a. Grundsatz, bei der sich das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß eindeutig verneinen läßt, zu bejahen. Von Bedeutung ist zunächst, daß vorliegend die Verlesung des Anklagesatzes nicht auch der Information von den Akteninhalt nicht kennenden (ehrenamtlichen) Richtern diente. Es handelt sich nämlich um ein Verfahren, an dem richterlich nur der Strafrichter als Einzelrichter teilnahm, so daß es der Information weiterer Mitglieder des Gerichts nicht bedurfte. Die gerichtlich zugelassene Anklage stützt sich zudem auf einen tatsächlich wie rechtlich einfachen Sachverhalt - Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis -, dessen Schilderung in der Anklageschrift sieben und im angefochtenen Urteil nur fünf Zeilen einnimmt. Es kann d...