Leitsatz (amtlich)
1. Fallen die in § 232 Abs. 1, Nr. 2 FamFG genannten alternativen Gerichtsstände am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes und an demjenigen des Elternteils, der für das Kind zu handeln befugt ist, auseinander, kann der antragstellende Beteiligte zwischen den beiden in Betracht kommenden Gerichtsständen wählen.
2. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt nicht schon dann, wenn das verweisende Gericht das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer zuständigkeitsbegründenden Norm unrichtig annimmt; hierzu bedarf es zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen.
Verfahrensgang
AG Altena (Aktenzeichen 8b F 37/18) |
Tenor
Als örtlich zuständiges Gericht wird das Amtsgericht - Familiengericht - Altena bestimmt.
Gründe
I. Die Antragstellerin ist die am 07.12.2000 geborene Tochter des Antragsgegners und macht - vertreten durch die Kindesmutter - im vorliegenden Verfahren, für dessen Durchführung sie die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe begehrt, rückständigen Kindesunterhalt für die Zeit von Januar 2012 bis Oktober 2015 in Höhe von insgesamt 10.046,00 EUR geltend. Die Mutter der Antragstellerin sowie der Antragsgegner sind für die Antragstellerin gemeinsam sorgeberechtigt.
Die Antragstellerin besucht seit Mitte Februar 2018 das H-Berufskolleg in Q und wohnt deshalb ihrem Vorbringen nach in der Woche von montags bis mittwochs bei ihrem Freund in O im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Altena. Regelmäßig von donnerstags bis sonntags, mindestens aber zwei Tage pro Woche, halte sie sich bei ihrer Mutter in M im Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Paderborn auf.
Der Antragsgegner ist dem - bislang nicht förmlich zugestellten - Antrag im Verfahrenskostenhilfeprüfungsverfahren entgegengetreten und hat die Ansicht vertreten, die Kindesmutter sei nicht berechtigt, die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren zu vertreten, weil die Antragstellerin nicht im Haushalt der Kindesmutter, sondern in O lebe.
Das ursprünglich angerufene Amtsgericht - Familiengericht - Paderborn hat sich nach Anhörung der Beteiligten mit dem am 02.03.2018 erlassenen und den Beteiligten übersandten Beschluss für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht - Familiengericht - Altena verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, örtlich zuständig sei gem. § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG das Amtsgericht Altena, weil die minderjährige Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in O habe. Sie lebe zumindest während der Woche dort bei ihrem Freund und absolviere ein Ausbildungsvorbereitungsjahr. Auch sei sie bei der Bundesagentur für Arbeit in K arbeitssuchend gemeldet und beziehe Leistungen vom Jobcenter in O. Der Schwerpunkt der persönlichen Bindungen der Antragstellerin (Freund, Freundeskreis, Praktikumsplatz, Schule) und mithin der gewöhnliche Aufenthalt befinde sich daher in O. Dass sie die Kindesmutter an zwei Tagen pro Woche besuche, stehe dem nicht entgegen.
Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Paderborn lasse sich dagegen auch nicht nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Kindesmutter bestimmen, weil diese nicht für die Antragstellerin zu handeln befugt sei. Die Vertretungsbefugnis des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB setze voraus, dass sich das minderjährige Kind in der Obhut eines Elternteils - hier der Kindesmutter - befinde, was nicht der Fall sei.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Altena hat sich daraufhin mit dem am 12.04.2018 erlassenen und den Beteiligten übersandten Beschluss ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Paderborn sei objektiv willkürlich und daher nicht bindend.
Der Umstand, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes von dem des das Vertretungsrecht des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB für sich in Anspruch nehmenden Elternteils abweiche, habe keine Auswirkungen auf die tatsächliche Obhut. Diese stelle vielmehr auf die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse ab, wobei maßgeblich das Schwergewicht auf der tatsächlichen Betreuung liege. Träger der Obhut sei derjenige Elternteil, bei dem ein eindeutig feststellbares, aber nicht notwendigerweise großes Übergewicht der tatsächlichen Fürsorge für das Kind vorliege.
Vorliegend müsse davon ausgegangen werden, dass die Kindesmutter im Vergleich zum Kindesvater auch dann den größeren Betreuungsanteil habe, wenn sich die Antragstellerin während der Woche nicht bei ihr aufhalte. Dementsprechend sei die Kindesmutter Trägerin der Obhut und damit gem. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB zur Vertretung berechtigt. Die örtliche Zuständigkeit ergebe sich daher aus § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG, weil die Kindesmutter als handlungsbefugter Elternteil ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des Amtsgerichts Paderborn habe. Die verschiedenen Gerichtsstände, die § 232 Abs. 1 Nr. 2 FamFG begründe, stünden gleichberechtigt neben...