Leitsatz (amtlich)
1) Ein Verweisungsbeschluss entfaltet auch dann keine Bindungswirkung, wenn den Beteiligten vor der Entscheidung keine Gelegenheit gegeben worden ist, in angemessener Zeit auf die mitgeteilten Bedenken des Gerichts gegen seine örtliche Zuständigkeit zu reagieren.
2) Ob der in der Regel nur vorübergehend angelegte Aufenthalt eines in Obhut genommenen Kindes in der Bereitschaftspflegefamilie einen dauernden Aufenthalt im Sinne des § 152 Abs. 2 FamFG begründen kann, beurteilt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, insbesondere danach, ob geplant ist, dass das Kind längere Zeit in der Bereitschaftspflegefamilie verbleibt.
3) Für die Frage, an welchem Ort das Bedürfnis für die Fürsorge im Sinne des § 152 Abs. 3 FamFG bekannt geworden ist, kommt es im Amtsverfahren auf den Aufenthaltsort des Kindes zu dem Zeitpunkt an, in welchem das Gericht amtlich von Tatsachen Kenntnis erlangt, die Anlass zu gerichtlichen Maßnahmen sein können.
Normenkette
FamFG § 3 Abs. 3, § 152 Abs. 2-3
Verfahrensgang
AG Herne (Aktenzeichen 16 F 176/21) |
Tenor
Örtlich zuständig ist das Amtsgericht - Familiengericht - Herne.
Gründe
I. Das beteiligte minderjährige Kind ist am 11.5.2021 wegen Betreuungs- und Erziehungsproblemen der Eltern vom Jugendamt Bochum in Obhut genommen und in einer Bereitschaftspflegefamilie in Herne untergebracht worden. Die Kindesmutter stellte am 07.06.2021 einen Antrag gem. § 19 SGB VIII mit dem Ziel, gemeinsam mit dem Kind in einer Mutter-Kind-Einrichtung aufgenommen zu werden. Die Maßnahme begann sodann trotz erheblicher Bedenken an der Motivation der Mutter am 02.07.2021, wobei allerdings die Mutter zunächst allein in der Einrichtung aufgenommen wurde, um in den nächsten Wochen unter Beweis zu stellen, dass sie in der Lage ist, sich den bestehenden Rahmenbedingungen anzupassen sowie Absprachen zu treffen und einzuhalten. Dieser Versuch scheiterte, so dass die Maßnahme am 26.07.2021 abgebrochen wurde. Das Kind war durchgehend in der Bereitschaftspflegefamilie in Herne verblieben. Die Mutter ist danach in den Haushalt ihrer eigenen Mutter zurückgekehrt. Das vorliegende Verfahren ist sodann aufgrund des unter dem 19.08.2021 beim Amtsgericht - Familiengericht - Bochum gestellten und am 25.08.2021 eingegangenen Antrags des Jugendamtes der Stadt Bochum auf Entziehung der elterlichen Sorge gem. § 1666 BGB eingeleitet worden.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Bochum hat zunächst einen Termin zur Anhörung der Beteiligten auf den 30.9.2021 bestimmt. Mit Verfügung vom 27.9.2021 hat es den Termin aufgehoben und dem Jugendamt aufgegeben, zum ständigen Aufenthalt des Kindes Stellung zu nehmen. Als Grund für die Aufhebung hat es die Klärung der Zuständigkeit des Familiengerichts Bochum angegeben. Im Anschluss an die Stellungnahme des Jugendamts vom 28.9.2021 hat es sich - mit den Beteiligten zugesandtem Beschluss vom 30.9.2021 - für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das von ihm für zuständig gehaltene Amtsgericht - Familiengericht - Herne verwiesen. Mit Verfügung vom 8.10.2021 hat das Amtsgericht Herne die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Akten an das Amtsgericht Bochum zurückgeschickt. In seiner Verfügung hat es die Ansicht vertreten, dass ein dauerhafter Aufenthalt des Kindes in der Bereitschaftspflegefamilie i. S. v. § 152 I FamFG nicht begründet worden sei. Am 13.10.2021 hat das Amtsgericht Bochum die Akten unter Hinweis auf die Bindungswirkung seines Verweisungsbeschlusses an das Amtsgericht Herne zurückgeschickt. Mit den Beteiligten bekannt gemachtem Beschluss vom 25.10.2021 hat sich das Amtsgericht - Familiengericht - Herne für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. In der Begründung seines Beschlusses vertritt das Amtsgicht die Rechtsansicht, dass das Amtsgericht - Familiengericht - Bochum gem. § 152 III FamFG als das Gericht, in dem das Bedürfnis der Fürsorge entstanden sei, für die Sache örtlich zuständig sei.
II. Der Senat ist gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 FamFG zur Bestimmung der Zuständigkeit im vorliegenden Sorgerechtsverfahren berufen, nachdem sich sowohl das Amtsgericht - Familiengericht - Bochum, als auch das Amtsgericht - Familiengericht - Herne jeweils durch den Beteiligten zugesandte Beschlüsse (vgl. Senat, Beschluss v. 11.6.2008 - 2 Sdb 12/08 - FamRZ 2008, 2040, zit. nach juris, Rn. 3; Beschluss v. 22.12.2009 - 2 Sdb 31/09 - FamRZ 2010, 920, 921; Beschluss v. 18.11.2011 - 2 SAF 21/11 - FamRZ 2012, 654, zit. nach juris, Rn. 8) rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Herne ist für das Verfahren auf Regelung der elterlichen Sorge für Kind A örtlich zuständig.
1) Die Zuständigkeit des Amtsgerichts folgt allerdings nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bochum vom 30.9.2021, denn dieser bindet das Amtsgericht - Familiengericht - Herne gem. § 3 Abs. 3 S. 2 FamFG nicht. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt zwar nicht wegen feh...