Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung. Zustellung. unwirksame. tatsächlicher Zugang. Bußgeldbescheid. Betroffener
Leitsatz (amtlich)
1. Im Fall der unwirksamen Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger wird Heilung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG i.V.m. § 8 VwZG NW durch den tatsächlichen Zugang des Bußgeldbescheides bei dem Betroffenen bewirkt.
2. Der Senat neigt in diesem Zusammenhang im übigen der Auffassung zu, dass durch die Einsichtnahme des Verteidigers in die Bußgeldakte, in der sich der zuzustellende Bußgeldbescheid befindet, ein tatsächlicher oder nachweisbarer Zugang i.S.d. Heilungsvorschriften bewirkt werden kann, sofern zuvor ein auf eine förmliche Zustellung gerichteter Zustellungswille dokumentiert ist.
Normenkette
OWiG § 33 Abs. 1 Nr. 9, § 51 Abs. 1 S. 1; VwZG NRW § 8
Verfahrensgang
AG Minden (Entscheidung vom 30.01.2017; Aktenzeichen 15 OWi-302 Js 11322/15-934/15) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (Entscheidung der mitentscheidenden Einzelrichterin des Senats).
Die Sache wird dem Senat für Bußgeldsachen in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Entscheidung der mitentscheidenden Einzelrichterin des Senats).
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Minden zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Landrat des Kreises Q hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 5. August 2015 wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h eine Geldbuße in Höhe von 120,00 Euro festgesetzt.
Das Amtsgericht Minden hat den Einspruch des Betroffenen durch das angefochtene Urteil vom 30. Januar 2017 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, da der Betroffene im Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei.
Gegen dieses in Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete und dem Betroffenen auf Anordnung des Vorsitzenden am 2. März 2017 zugestellte Urteil hat der Betroffene mit Telefaxschreiben seines Verteidigers vom 2. März 2017, beim Amtsgericht Minden eingegangen am selben Tag, die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und diesen Antrag mit Telefaxschreiben seines Verteidigers vom 10. April 2017, beim Amtsgericht Minden eingegangen am selben Tag, begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,
den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Der Betroffene macht geltend, der Bußgeldbescheid vom 5. August 2015 sei zu keinem Zeitpunkt wirksam zugestellt worden, so dass das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung bestehe.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
In dem zugrunde liegenden Bußgeldverfahren warf der Landrat des Kreises Q dem Betroffenen vor, am 18. Mai 2015 um 15:48 Uhr die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h überschritten zu haben. Mit Verfügung vom 12. Juni 2015 ordnete die Sachbearbeiterin der Bußgeldstelle des Straßenverkehrsamtes die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Betroffenen und seine Anhörung an (Bl. 13 d.A.). An den Betroffenen wurde ein Anhörungsschreiben vom 15. Juni 2016 (Bl. 14 d.A.) versandt. Mit Telefaxschreiben vom 18. Juni 2015 (Bl. 16 d.A.) bestellte sich Rechtsanwalt I2 als Verteidiger des Betroffenen und bat um Akteneinsicht, die ihm mit Schreiben vom 1. Juli 2015 (Bl. 20 d.A.) gewährt wurde. Mit weiteren Schreiben vom 4. August 2015 überreichte Rechtsanwalt I2 eine von dem Betroffenen unterzeichnete Vollmacht (Bl. 25, 26 d.A.). Mit Verfügung der Sachbearbeiterin vom 5. August 2015 (Bl. 27 d.A.) erließ die Bußgeldstelle im automatisierten Verfahren einen Bußgeldbescheid, der dem Verteidiger gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden sollte und wie folgt adressiert war: "Herrn I über Anwaltskanzlei N und M. I2" (Bl. 28 d.A.). Mit Schreiben vom 5. August 2015 informierte die Bußgeldstelle den Betroffenen über den Erlass des Bußgeldbescheides, der dem Bevollmächtigten zugestellt worden sei. Dem Schreiben war ein Duplikat des Bußgeldbescheides beigefügt (Bl. 29, 30 d.A.). Mit Telefaxschreiben vom 7. August 2015, bei Gericht eingegangen am selben Tag, legte der Verteidiger Einspruch "gegen den Bußgeldbescheid vom 05.08.2015" ein und bat um vollständige Akteneinsicht (Bl. 32, 33 d.A.). Mit Schreiben vom 11. August 2015 (Bl. 38 d.A.) übersandte die Bußgeldstelle die Ermittlungsakte und bat um Rücksendung des Empfangsbekenntnisses; auf dem Schreiben befindet sich der Aufdruck: "Anlage: 1 Akte Blatt 1 bis 31." Mit Schreiben vom 7. September 2015 (Bl. 41 d.A.) reichte der Verteidiger die Akte zurück. Das Empfangsbekenntnis betreffend die Zustellung des Bußgeldbescheides reichte der Verteidiger in der Folgezeit trotz weiterer schriftlicher Aufforderungen vom 17. September 2015 (Bl. 42 d.A.) und vom 12. Oktober 2015 (Bl. 45 d.A.) nicht zurück. Er beantragte mit Schriftsatz vom 2. Oktober ...