Leitsatz (amtlich)
Die erforderliche Mitwirkung eines Verteidigers wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung ergibt sich dann, wenn der Nebenkläger an der Hauptverhandlung teilnimmt und dieser sich anwaltlichen Beistandes bedient.
Verfahrensgang
AG Recklinghausen (Entscheidung vom 18.08.2003) |
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 18. August 2003 wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Recklinghausen hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung im Zustand verminderter Schuldfähigkeit zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten Sprungrevision. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Es hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:
"Die Rüge der Revision, das Tatgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es entgegen §§ 38 Abs. 3, 50 Abs. 3 JGG einen Vertreter der Jugendgerichtshilfe nicht herangezogen hat, geht fehl, weil diese Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Das Tatgericht verletzt zwar in der Regel seine Aufklärungspflicht, wenn es die Jugendgerichtshilfe nicht heranzieht. Vorliegend ist jedoch ausweislich der Urteilsfeststellungen die Jugendgerichtshilfe beteiligt worden, denn der Bericht der Jugendgerichtshilfe ist mit dem Angeklagten erörtert worden. In einem solchen Falle kommt ein Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass konkrete greifbare Anhaltspunkte die Annahme nahe legen, die Jugendgerichtshilfe habe von einer Teilnahme der Hauptverhandlung abgesehen, obgleich sie Erkenntnisse habe oder gewinnen könnte, die für den Ausspruch über die Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind (zu vgl. NStZ-RR 2003, 344). Konkrete greifbare Anhaltspunkte für eine solche Möglichkeit hat die Revision indes nicht vorgetragen. Die Rüge scheitert deshalb schon am Mangel der umfassenden Darlegung der Rügetatsachen.
Auch die Rüge der Revision, das Gericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass ein Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldunfähigkeit nicht eingeholt worden ist, geht fehl, da auch diese Rüge nicht in zulässiger Form erhoben worden ist. Die Revision hat bereits nicht ausreichend dargelegt, welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre und welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen. Eine Aufklärungsrüge, die ein günstiges Ergebnis - wie im vorliegenden Fall - nur für möglich erachtet, ist jedoch unzulässig (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflg., Rdn. 81 zu § 244).
Der Angeklagte macht jedoch mit seiner in zulässiger Form erhobenen Verfahrensrüge zu Recht den absoluten Revisionsgrund der §§ 140 Abs. 2, 338 Nr. 5 StPO geltend, weil die Hauptverhandlung gegen ihn ohne den Beistand eines Verteidigers und somit in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat.
Insoweit ist unerheblich, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht (noch einmal) die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt hat. Denn der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen, ein Verteidiger aber nicht bestellt worden ist (zu vgl. NStZ-RR 1998, 243 m.w.N.).
Die Mitwirkung eines Verteidigers war in der Hauptverhandlung am 18.08.2003 vor dem Amtsgericht Recklinghausen gemäß § 140 Abs. 2 StPO notwendig, weil der Angeklagte unfähig war, sich selbst zu verteidigen. Die erforderliche Mitwirkung eines Verteidigers wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung ergibt sich vorliegend aus § 140 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO. Danach ist einem Angeklagten dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn ersichtlich ist, dass er sich nicht selbst verteidigen kann, namentlich, weil dem Verletzten nach §§ 397 a, 400 g Abs. 3, 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Insbesondere in diesen Fällen geht das Gesetz, was der Regelung in § 140 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO entnommen werden kann, davon aus, dass ein Angeklagter in seiner Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, erheblich beeinträchtigt sein kann (zu vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 08.09.1998 - 2 Ss 1075/98 -; StV 1/99, 11, 12). Dies beruht darauf, dass er sich einem am Verfahren beteiligten Verletzten gegenübersieht, der sich des fachkundigen Rates eines Rechtsanwalts bedienen kann. Vorliegend hat das Amtsgericht Recklinghausen den Geschädigten als Nebenkläger zugelassen. Es hat dem Verletzten zwar keinen Rechtsanwalt beigeordnet, doch hat dieser sich, wora...