Entscheidungsstichwort (Thema)

Nebenkläger. Zulassung. Beistand. Beiordnung. Verletzter. versuchter Totschlag

 

Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands besteht bereits dann, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte ein Delikt i. S. v. § 397a Abs. 1 StPO begangen hat und seine Verurteilung deswegen in Betracht kommt bzw. die Verurteilung wegen einer Nebenklagestraftat rechtlich möglich erscheint. Eine Beistandsbestellung kann nur dann ausscheiden, wenn bereits nach der Darstellung des Nebenklägers seine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung ausscheidet oder - nach allgemeinen Grundsätzen - die Wahrnehmung des Rechts der Beistandsbestellung rechtsmissbräuchlich ist.

 

Normenkette

StPO § 397a Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 9 KLs 2/21)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Nebenkläger G wird im vorliegenden Verfahren Rechtsanwältin O aus N als Beistand bestellt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Nebenkläger darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse (analog § 473 Abs. 4, 467 StPO).

 

Gründe

I.

Mit Anklageschrift vom 17.12.2020 wirft die Staatsanwaltschaft Münster den Angeklagten (u. a.) vor, "gemeinschaftlich und tateinheitlich handelnd,

a) in zwei tateinheitlich begangenen Fällen versucht zu haben, einen Menschen zu töten, ohne Mörder zu sein,

b) in zwei tateinheitlich begangenen Fällen andere Personen mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt zu haben, wobei in einem Fall die verletzte Person in Siechtum, Lähmung und geistige Krankheit oder Behinderung verfiel".

Hintergrund des Tatvorwurfes ist, dass der Nebenkläger zusammen mit seinem Bruder am 00.00.2020 in U gegen Mitternacht den Angeklagten F überfallen und ihm Marihuana mit einem Nettogewicht von 360,91 Gr und einem THC-Gehalt von 60,2 Gr entwendet haben soll. Den auf der Flucht befindlichen Brüdern sollen die Angeklagten nachgesetzt haben. Der Bruder des Nebenklägers soll auf der Flucht zu Fall gekommen sein. Nach dem Anklagevorwurf soll er von dem Angeklagten P sodann mehr als 30 mal mit Fäusten und Tritten gegen Kopf und Oberkörper traktiert worden sein, während der Angeklagte F im einverständlichen Zusammenwirken mit P auf den Kopf des zu seinem Bruder geeilten Nebenklägers eingeschlagen und eingetreten haben soll. Anschließend soll auch der Angeklagte P dem Nebenkläger einen wuchtigen Schlag mit einem Gegenstand gegen den Kopf versetzt haben, hernach soll der Angeklagte F diesem kraftvoll gegen den Kopf getreten haben. Die Angeklagten sollen hierbei den Tod des Nebenklägers und seines Bruders zumindest billigend in Kauf genommen haben.

Während der Bruder des Nebenklägers nach mehrfacher Notoperation derzeit mit schwersten Hirnverletzungen immer noch im Koma liegt, soll der Nebenkläger u.a. multiple Mittelgesichtsfrakturen (beidseitiger Bruch des Jochbeins, der Kieferhöhlen und der Augenhöhlenböden) erlitten haben.

Das Schwurgericht, zu dem Anklage erhoben worden war, hat das Hauptverfahren vor der großen Strafkammer eröffnet, weil es einen hinreichenden Tatverdacht für ein versuchtes Tötungsdelikt verneint hat. Es sei schon nicht wahrscheinlich, dass sich ein bedingter Tötungsvorsatz feststellen lasse, jedenfalls werde anzunehmen sein, dass die beiden Angeklagten strafbefreiend zurückgetreten seien. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Eröffnungsbeschluss vom 11.01.2021 verwiesen.

Mit Beschluss vom 21.01.2021 hat die 9. Strafkammer des Landgerichts Münster antragsgemäß (u.a.) die Berechtigung des Nebenklägers zum Anschluss gem. §§ 395 Abs. 1 Nr. 3, 396 StPO festgestellt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom selben Tag hat der Vorsitzende der 9. Strafkammer die beantragte Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers abgelehnt, weil er nicht Verletzter einer Tat nach § 397a Abs. 1 StPO sei.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Nebenkläger mit der Beschwerde vom 01.02.2021, welcher der Vorsitzende mit Beschluss vom 04.02.2021 nicht abgeholfen hat. Er hält zwar die Möglichkeit eines bestehenden Tötungsvorsatzes für gegeben, indes sei aber ein strafbefreiender Rücktritt evident. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Antragsschrift vom 19.02.2021 die Verwerfung des Rechtsmittels als unbegründet beantragt.

Die Hauptverhandlung hat am 26.02.2021 begonnen. Der letzte Hauptverhandlungstag ist für den 26.04.2021 vorgesehen.

II.

Die statthafte und zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Die Voraussetzungen für eine Beiordnung von Rechtsanwältin O als Beistand des Nebenklägers liegen vor.

Einen entsprechenden Antrag hat er gestellt. Er ist auch Verletzter einer versuchten rechtswidrigen Tat nach §§ 212, 22, 23 StGB i.S.v. § 397a Abs. 1 Nr. 2 StPO.

Der Anspruch auf Bestellung eines anwaltlichen Beistands besteht bereits dann, wenn auch nur die geringe Möglichkeit besteht, dass der Ange...

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