Leitsatz (amtlich)
1. Zum berechtigten Interesse eines Rechtsschutzversicherers, der Deckungsschutz gewährt hat, an der Einsicht in Akten über einen Rechtsstreit zwischen dem Versicherungsnehmer und einem Dritten zwecks Prüfung der Frage, ob dem Versicherer ein kraft Gesetzes (§ 86 VVG) übergegangener Regressanspruch des Versicherungsnehmers gegen seinen Prozessbevollmächtigten zusteht.
2. Zur Nachholung der Ermessensentscheidung durch die Justizverwaltungsbehörde
Normenkette
EGGVG § 23ff; ZPO § 299 Abs. 1
Tenor
Der Bescheid des Präsidenten des Landgerichts vom 1.08.2019 wird aufgehoben.
Der Beteiligte zu 3) wird angewiesen, den Antrag der Beteiligten zu 1) vom 1.07.2019 auf Gewährung von Akteneinsicht in die Verfahrensakte 4 O 439/16 LG Paderborn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Mit Klageschrift vom 5.12.2016 hat der Beteiligte zu 2), vertreten durch Rechtsanwalt R, die Xbank eG auf Zahlung in Anspruch genommen (4 O 439/16 LG Paderborn). Die Beteiligte zu 1) hatte dem Beteiligten zu 2) aufgrund des bei ihr bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrages für den Prozess eine Deckungszusage erteilt. Das Verfahren vor dem Landgericht Paderborn ist durch klageabweisendes Urteil vom 24.05.2017 beendet worden. Die Beteiligte zu 1) hat nach ihren unwidersprochenen Angaben die Kosten des Rechtsstreits übernommen.
Mit Schriftsatz vom 1.07.2019 hat die Beteiligte zu 1) beantragt, ihr Einsicht in diese Verfahrensakte zu gewähren, da sie das Bestehen von Regressansprüchen gegen den Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 2) prüfen wolle. Der Beteiligte zu 2) ist der beantragten Akteneinsicht entgegen getreten.
Mit Bescheid vom 1.08.2019 hat der Präsident des Landgerichts Paderborn den Antrag auf Akteneinsicht zurückgewiesen und zur Begründung angeführt, dass die Beteiligte zu 1) ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht im Sinne des § 299 ZPO nicht glaubhaft gemacht habe.
Gegen diesen, ihren Verfahrensbevollmächtigten am 7.08.2019 zugestellten Bescheid, richtet sich der Antrag des Beteiligten zu 1) auf gerichtliche Entscheidung vom 9.09.2019, der am selben Tage bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist.
Der Senat hat die Verfahrensakten des Landgerichts Paderborn beigezogen und dem Beteiligten zu 2) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
II. Der Antrag des Beteiligten zu 1) auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig.
Lehnt der Präsident des Landgerichts das Akteneinsichtsgesuch eines nicht am Verfahren beteiligten Dritten ab, so trifft er als Justizbehörde eine Maßnahme zur Regelung einer einzelnen Angelegenheit auf dem Gebiet des Zivilprozesses, gegen die der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG statthaft ist. Die Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG ist gewahrt, da der 7.09.2019 ein Samstag war.
In der Sache hat der Antrag der Beteiligten zu 1) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Nach § 299 Abs. 2 ZPO kann der Vorstand des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts ohne die Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Ist nach der Auffassung des Gerichtsvorstands ein rechtliches Interesse des die Akteneinsicht Begehrenden glaubhaft gemacht, steht die Gewährung der Akteneinsicht in dem pflichtgemäßem Ermessen des Gerichtsvorstands (Münchener Kommentar zur ZPO-Prütting, 5. Auflage 2013, § 299 Rn. 23; OLG Frankfurt, Beschluss vom 1.02.2007 - 20 VA 13+14/06 mit weiteren Nachweisen). Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung sind dann die Akten dahingehend zu untersuchen, ob durch die Kenntnisnahme Dritter schutzwürdige Interessen der Parteien verletzt werden können. In diesen Fällen ist bei der Ermessensentscheidung des Gerichtsvorstands das Geheimhaltungsbedürfnis der Parteien mit dem Informationsbedürfnis des Dritten abzuwägen. Bei besonderem Parteiinteresse können etwa Namen geschwärzt oder besonders geheimhaltungsbedürftige Aktenteile vor der Einsichtnahme aus den Akten entnommen werden (vgl. dazu Münchener Kommentar zur ZPO-Prütting, a. a. O., § 299 Rn. 25). Die Ermessensausübung des Gerichtsvorstands beginnt allerdings erst nach der Feststellung eines rechtlichen Interesses im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO (OLG Frankfurt a. a. O.; OLG Köln NJW-RR 1999, 1561).
Der Senat geht abweichend von der Beurteilung des Präsidenten des Landgerichts davon aus, dass der Beteiligte zu 1) ein rechtliches Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht hat.
Unter einem rechtlichen Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO ist ein Interesse zu verstehen, das sich unmittelbar aus der Rechtsordnung selbst ergibt und ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache voraussetzt (vgl. BGHZ, 4, 323, 325; Senat NJW-RR 1997, 1489; OLG München ARB 2011, 79; KG OLGZ 1988, 190 = NJW 1988, 173...