Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde. Urteilsgründe. Fehlen. Zulassung. Beginn der Rechtmittelfrist. Zustellung. Protokoll
Leitsatz (amtlich)
1. Im Falle des Fehlens der schriftlichen Urteilsgründe ist die formelle Zustellung der Urteilsformel ausreichend, um die Rechtsbeschwerdefrist in Lauf zu setzen.
2. Zur Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn die Urteilsgründe fehlen.
Normenkette
StPO § 345; OWiG § 79
Verfahrensgang
AG Recklinghausen (Entscheidung vom 08.12.2008) |
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Recklinghausen hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom 08. Dezember 2008 wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit (Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens in Tateinheit mit Nichtbefolgung der durch Pfeile vorgeschriebenen Fahrtrichtung) gemäß den §§ 37 Abs. 2, 41 Abs. 2, 49 StVO, § 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 55,00 EURURO verhängt. Hiergegen hat der Betroffene den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, die er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 08. April 2009 mit der Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 7 StPO begründet hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechts-beschwerde zu verwerfen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig, da er frist- und form-gerecht angebracht worden ist, kann in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.
1.
Obwohl bisher kein vollständiges mit Gründen versehenes schriftliches Urteil zu den Akten gelangt ist, ist eine Entscheidung des Senats veranlasst. Denn durch die am 23. Juli 2009 erfolgte Zustellung des den Urteilstenor enthaltenen Hauptverhand-lungsprotokolls vom 08. Dezember 2008 ist die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 3 OWiG in Gang gesetzt worden. Im Falle des Fehlens der schriftlichen Urteilsgründe ist nämlich die formelle Zustellung der Urteilsformel ausreichend, um die Frist in Lauf zu setzen (vgl. BGH, Vorlagebeschluss vom 06. August 2004 - 2 StR 523/03, abgedruckt in: NJW 2004, 3643 - 3645; BayObLG, NZV 1998, 82; LG Zweibrücken, MDR 1991, 894), wenn für den Betroffenen erkennbar ist, dass die zugestellte Urkunde die für seine Rechtsmittelbegründung maßgebliche Fassung darstellt. Dies gilt insbesondere im Falle irreparablen Fehlens der Gründe, wofür vorliegend - angesichts der weiteren andauernden Erkrankung der zuständigen Amtsrichterin - Einiges spricht.
2.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Da die festgesetzte Geldbuße nicht mehr als 100,00 Euro beträgt, richten sich die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 OWiG. Danach ist die Rechtsbeschwerde in den Verfahren mit den sogenannten weniger bedeutsamen Fällen nur zulässig zur Fortbildung des materiellen Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 OWiG) oder, wenn das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Bei einer Verurteilung bis 100,00 Euro kann die Rechtsbeschwerde nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen werden; die Zulassung ist insoweit bei Verstößen bis 100,00 Euro noch weiter eingeschränkt.
Die allein materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils führt vorliegend nicht zur Aufdeckung einer Rechtsfrage, welche die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts gebietet. Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Eine Zulassung unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts kommt daher nur bei entscheidungs-erheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfragen in Betracht (zu vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 80 Rdnr. 3 m.w.N.).
Zwar fehlen hier die grundsätzlich erforderlichen Urteilsgründe. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Überschreitung der Frist des § 275 Abs. 1 S. 1, S. 2 StPO gem. § 275 Abs. 1 S. 4 StPO zulässig sein kann, ist indes in der Recht-sprechung hinreichend geklärt ist. Insbesondere gehört hierzu auch eine unvorhersehbare Erkrankung des erkennenden Einzelrichters (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Mai 2009 - 2 Ss OWi 367/09; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 275 Rdnr. 13).
Aufgrund der langfristigen Erkrankung der Richterin wurde dem Verteidiger eine Abschrift des Protokolls des Hauptverhandlungstermins zugestellt. Dieses entspricht einem abgekürzten Urteil ohne Gründe gemäß § 77b OWiG. Das Protokoll enthält die in das Urteil aufzunehmenden Angaben des Urteilsrubrums sowie die Urteilsformel und beinhaltet damit sämtliche Elemente eines abgekürzten Urteils.
Der Umstand, dass Urteilsgründe fehlen, führt für sich allein noch nicht zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Erforderlich ist auch in einem solchen Fall die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen des § 80 Abs. 1 und 2 OWiG anhand de...