Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde, abgekürztes Urteil, Ergänzung der Urteilsgründe, Übersendung an die Staatsanwaltschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Die Unzulässigkeit der Nachholung von Urteilsgründen setzt das tatsächliche Vorliegen eines schriftlichen und mithin auch unterzeichneten abgekürzten Urteils sowie dessen willentliche Bekanntgabe an einen Verfahrensbeteiligten, einhergehend mit der daraus ersichtlichen bewussten Entscheidung für die Hinausgabe einer nicht mit Gründen versehenenen Urteilsfassung voraus.
2. Die abschließende Unterzeichnung des Hauptverhandlungsprotokolls, welche den Urteilstenor enthält, rechtfertigt angesichts der nach § 271 Abs. 1 Satz 1 StPO gegebenen Verpflichtung zur Unterzeichung des Hauptverhandlungsprotokolls nicht die Schlussfolgerung, der erkennende (Einzel-)Richter wolle ein abgekürtzes Urteil ausfertigen.
3. Ungeachtet der im Formular vorgegebenen Formulierung "als Zustellung gem. § 41 StPO übersandt" fehlt es an der förmlichen Zustellung eines abgekürtzen Urteils, wenn bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände der eindeutige Wille, dass die an eine förmliche Zustellung geknüpften Rechtsfolgen ausgelöst werden sollen, ersichtlich nicht zum Ausdruck kommt.
Normenkette
OWiG §§ 41, 46; StPO §§ 271, 275
Verfahrensgang
AG Essen (Entscheidung vom 22.08.2012; Aktenzeichen 56 OWi 378/12) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Betroffene zu tragen (§ 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).
Gründe
I.
Das Amtsgericht Essen hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom 22. August 2012 wegen einer am 05. März 2012 um 21 35 Uhr in F begangenen fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung um 50 Km/h (bei zulässigen 50 km/h) eine Geldbuße von 200,00 € festgesetzt und gleichzeitig ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt.
Hiergegen richtet sich die rechtzeitige Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Sachrüge erhoben hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ebenfalls beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückzuverweisen.
Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
II.
1.
Soweit mit der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft die Auffassung vertreten wird, das angefochtene Urteil könne bereits deshalb keinen Bestand haben, "weil das der Staatsanwaltschaft gemäß richterlicher Verfügung vom 23. August 2012 gemäß § 41 StPO zugestellte Urteil, das für die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht maßgeblich ist, entgegen § 71 OWiG i.V.m. § 267 StPO keine Gründe aufweist", vermag sich der Senat dieser Bewertung nicht anzuschließen.
Gegenstand der Überprüfung ist vielmehr vorliegend das ausweislich des Vermerkes der Geschäftsstelle des Amtsgerichts am 17. September 2012 und mithin rechtzeitig innerhalb der Frist der §§ 46 OWiG, 275 Abs. 1 StPO zu den Akten gebrachte und mit ausführlichen Gründen versehene Urteil (Bl. 62 ff. d.A.). Ein Fall der Unzulässigkeit einer nachträglichen Fertigung von Urteilsgründen liegt in der gegebenen Fallkonstellation tatsächlich nicht vor.
Nach der Hauptverhandlung vom 22. August 2012 hat die erkennende Richterin ausweislich der Akten mit Verfügung vom 23. August 2012 der Staatsanwaltschaft die Akten "unter Hinweis auf das Urteil auf Bl. 51 d.A. als Zustellung gemäß § 41 StPO übersandt sowie mit der Bitte um Mitteilung, ob auf Rechtsmittel und Urteilsbegründung verzichtet wird". Die am 24. August 2012 bei der Staatsanwaltschaft Essen eingegangenen Akten wurden sodann mit Verfügung vom 31. August 2012 "mit Rechtsmittelverzicht zurückgesandt". Mit Faxanschrieben vom 29. August 2012 hatte der Verteidiger des Betroffenen Rechtsbeschwerde eingelegt. Nach Rückkehr der Akten von der Staatsanwaltschaft am 05. September 2012 hat die Richterin das mit Gründen versehene Urteil abgefasst und mit Verfügung vom 14. September 2012 dessen förmliche Zustellung an den Verteidiger angeordnet.
Es mag dahinstehen, ob der von zahlreichen Oberlandesgerichten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04. Oktober 2012, 3 RBs 222/12; OLG Bamberg, Beschluss vom 16. Dezember 2008, 3 Ss OWi 1060/08, zitiert nach [...]; OLG Oldenburg, Beschluss vom 10. April 2004, 2 SsBs 59/12, zitiert nach [...]; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Februar 2010, IV - 1 RBs188/09, zitiert nach [...]) vertretenen Auffassung zuzustimmen ist, dass die Nachholung der Urteilsgründe auch innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist - mit Ausnahme der Zulässigkeit nachträglicher Urteilsbegründung gemäß § 77 b OWiG - generell nicht mehr zulässig ist, wenn ein alle erforderlichen Bestandteile (mit Ausnahme der Gründe) enthaltendes Urteil in einer Bußgeldsache aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden ist. Der Senat folgt diesen Auffassungen zumindest insoweit nicht, als sogar vertreten wird, die vorgenannte Sperrwirkung trete unabhängig von einer förmlichen Bekanntgabe durch Zustellung auch dann ein, wenn das Urteil z.B. (auch ohne...